Konkrete Lösungen beim EU-Gipfel nächste Woche gefordert.
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Brüssel. Inzwischen zählt sogar die EU-Kommission das für die Eurorettung bleibende Zeitfenster in Tagen: "Jetzt beginnen zehn kritische Tage, in denen wir die Antwort auf die Schuldenkrise in der EU zum Abschluss bringen und beschließen müssen", sagte EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn beim gestern, Mittwoch, zu Ende gegangenen Finanzministerrat. "Es wird sicher nicht gehen, dass der EU-Gipfel am 8. und 9. Dezember wieder nur Debatten ohne konkrete Lösung liefert", sagte ein Diplomat. Offenbar hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass noch vor Weihnachten ein Kurswechsel stattfinden muss, der die Märkte überzeugt. Einen Vorgeschmack darauf liefert schon heute, Donnerstag, der französische Präsident Nicolas Sarkozy. Er soll konkrete Vorschläge für eine Änderung des Lissabonner Vertrags in Richtung einer Fiskalunion bringen, die von Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble und seiner österreichischen Kollegin Maria Fekter lieber Stabilitätsunion genannt wird. Am Freitag legt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Präsentation nach.
Bisher waren die Finanzminister noch mit der Hebelung des Eurorettungsschirms EFSF und der kurzfristigen Rettung Griechenlands beschäftigt. Anscheinend aus Angst um Italien und Spanien verkündete der Luxemburger Premier und Eurogruppenschef Jean-Claude Juncker Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein stärkeres Engagement in der Eurozone. Dafür seien die Mitgliedsländer auch bereit, den IWF mit mehr Geld auszustatten. Der neue verstärkte EFSF sei jetzt einsatzbereit, gemeinsam mit dem IWF könnten alle Refinanzierungen "über das erste Quartal hinaus" gestemmt werden, meinte er wenig ermutigend. Beim Hebel des EFSF zeige sich, dass "lange Diskussionen die Marktchancen nicht immer verbessern." Im Oktober war noch von einer Hebelung der verbliebenen rund 250 Milliarden Euro auf mehr als eine Billion ausgegangen worden, inzwischen scheint nur noch ein Faktor von zwei bis drei realistisch. Fekter betonte, dass ein Zielbetrag "angesichts der aktuellen Marktsituation nicht seriös abschätzbar" sei. Deshalb gebe es in den Beschlüssen der Minister auch keine Zahl.
Zwei Optionen für den Hebel des Rettungsschirms
Konkret stehen für den Hebel zwei Optionen zur Verfügung, die EFSF-Chef Klaus Regling erläuterte: Erstens ist eine "Teilschutz"-Variante vorgesehen, bei der der EFSF je nach Marktlage für die ersten 20 bis 30 Prozent eines möglichen Zahlungsausfalls einer Staatsanleihe haften würde. Dabei handle es sich vor allem um eine Vorsichtsmaßnahme, um die Refinanzierungskosten mancher (schwankender) Euroländer zu senken. Zweitens sollen beim Eurorettungsschirm spezielle Sondertöpfe - sogenannte Co-Investmentfonds (CIF) - geschaffen werden, die von öffentlichen und privaten Geldgebern gefüllt werden sollen. Mittel des EFSF, Privater und Extra-CIF-Anleihen würden kombiniert. Das Interesse der Investoren hält sich derzeit allerdings ziemlich in Grenzen. Das dürfte Juncker auch zu seinem Griff zur IWF-Keule verleitet haben. Wie der IWF mit mehr Geld versorgt werden soll, blieb unklar - am Ende müsste wohl die Europäischen Zentralbank (EZB) die zusätzlichen Kreditlinien für den Währungsfonds organisieren.
Nächste Tranche für Griechenland auf Schiene
Nach mehrfacher Verzögerung gaben die Finanzminister auch eine Notkredittranche über rund acht Milliarden Euro per Mitte Dezember frei, um die Griechen vor der unmittelbaren Pleite zu bewahren. Die sind noch Teil des ersten Hilfspakets für Athen über 110 Milliarden Euro. Weil das aber nicht einmal annähernd ausreicht, sollen die Verhandlungen über ein zweites Rettungsprogramm laut Schäuble noch bis Jahresende abgeschlossen werden. Kernproblem sind die stockenden Debatten zwischen der griechischen Regierung und den Banken, welche prinzipiell einem 50-prozentigen Schuldenschnitt zugesagt hatten - über die konkreten Konditionen gibt es aber keine Einigkeit. "Ich habe dem Kollegen Venizelos gesagt, er soll bald alle Gläubiger einladen und in ein Konklave berufen, bis weißer Rauch aufsteigt", meinte Schäuble in Analogie zur Wahl des Papstes in Rom. Als problemlose erwies sich die nächste Kredittranche für Irland über 8,5 Milliarden Euro, von denen 4,2 Milliarden der EFSF besorgt, 3,8 Milliarden vom IWF und 500 Millionen aus Großbritannien kommen. Alle priesen die grüne Insel als positives Beispiel dafür, dass das System von Notkrediten im Gegenzug für Reform- und Sparprogramme auch funktionieren kann.
Dass sich die Eurofinanzminister am Mittwoch für dieses Jahr zum letzten Mal getroffen haben, wollte niemand so recht glauben. Schließlich steht der womöglich diesmal wirklich entscheidende EU-Gipfel noch bevor, der den Ministern noch einige Nacharbeiten auftragen könnte. Denn immer mehr Ökonomen skizzieren längst Untergangsszenarien für die Eurozone, falls die Wende nicht gelingt und die Märkte heuer kein Vertrauen mehr fassen. Schließlich steigen die Refinanzierungskosten für große Euroländer im Süden regelmäßig zu neuen Rekordwerten. Doch eine mögliche Rettungsstrategie kristallisiert sich immer mehr heraus und wird von Sarkozy und Merkel heute und morgen präzisiert.
EU-Vertragsänderung nächste Woche
Beim EU-Gipfel nächste Woche wird im Grundsatz eine einschneidende EU-Vertragsänderung vereinbart, welche das Funktionieren der Eurozone als Währungsgemeinschaft plausibel macht. Das dauert freilich länger. Doch sind EU-Experten davon überzeugt, dass sich die Spekulanten von tatsächlich glaubwürdigen Konzepten für eine funktionierende künftige Gemeinschaftswährung bereits dann überzeugen lassen, wenn die Beschlüsse stehen. Die müssten aber wirklich in einen überzeugenden Fahrplan einzementiert werden.
Die Idee: Mittelfristig sorgen Eurobonds für eine dauerhaft leistbare Refinanzierung auch wirtschaftlich schwächerer großer Mitglieder der Eurozone wie Italien oder Spanien. Dafür wird schon beim EU-Gipfel ein umfassendes Durchgriffsrecht einer EU- oder Eurozonen-Instanz auf die nationalen Haushalte per Vertragsänderung vereinbart - die Euroländer verlören die Budgethoheit. Das kann es freilich nicht ohne Gegenleistung geben. Die Eurozone darf nur in die nationalen Haushalte eingreifen, weil sie über die gemeinsamen Anleihen auch die Letztverantwortlichkeit für die Rückzahlung der Schulden übernimmt.
EZB kauft in der Zwischenzeit Staatsanleihen
Allein durch die glaubhafte Ankündigung der Gemeinschaftshaftung könne die Risikoaufschläge der Euro-Problemländer wie Italien und Spanien deutlich reduzieren, glauben Strategen der EU-Kommission. In der Zwischenzeit kann die Europäische Zentralbank (EZB) ohne deutschen Widerstand Staatsanleihen von schwankenden Euroländern aufkaufen. Sie böte eine Art Eurorettungsschirm mit unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten, die Spekulationen gegen Euroländer daher auch kurzfristig sinnlos machte. Ob diese Strategie gelingt, wenn es eine Einigung darauf gibt, liegt freilich wieder an den Märkten.