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"Zeigen, was in Weißrussland los ist"

Von Christine Zeiner

Europaarchiv
Stachwiuk (r.) mit Mitarbeitern von Radio Racja. Foto: chz

Ein Radiosender in Polen will beim Nachbarn aufklären. | Bialystok. "Ich kann nicht einfach nur zuschauen", sagt Wiktor Stachwiuk. "Ich habe die Vorstellung von einer unabhängigen und freien Gesellschaft." Der gebürtige Weißrusse, der in Polen lebt, verfolgt sein Ziel seit Jahren: Früher reiste der Mitbegründer einer Regionalsektion der Solidarnosc durch Zentralpolen und erzählte den Menschen von der Gewerkschaftsbewegung. Heute ist Stachwiuk Direktor von Radio Racja.


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"Ursache und Recht" lautet der Name des Senders, der von der polnischen Grenzstadt Bialystok aus sendet: "Wir wollen zeigen, was wirklich in Weißrussland los ist", sagt Programmgestalterin Jana Kamienskaja und Stachwiuk erklärt: "Viele Weißrussen - vor allem in den Dörfern - wissen nichts von Menschenrechten, von einem Leben anderswo. Sie haben keine Information, um ihr eigenes mit anderen Leben vergleichen zu können. Die offiziellen Medien sagen: Lukaschenko ist der Beste."

Unter dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gibt es keine Pressefreiheit. Journalisten, die versuchen, kritisch oder unabhängig zu arbeiten, werden laut Stachwiuk nicht unbedingt inhaftiert - man habe andere, subtilere "Lösungen" gefunden: Wer nach einem Grenzübertritt nicht wieder kommen soll, erhält den dafür notwendigen Stempel nicht, wer lokale oder zentrale Autoritäten interviewen will, scheitert, wer nicht gefügig genug ist, bekommt finanziell Druck zu spüren. "Abgehört wird jeder", sagt Stachwiuk.

Keine Zeit für Angst

Viele Mitarbeiter von Radio Racja verwenden ein Pseudonym. Im inoffiziellen Studio in Minsk werden die Basisinformationen vorbereitet, die Journalisten in Bialystok arbeiten die Nachrichten auf und senden sie von Polen aus. "Wir versuchen, objektiv zu sein - und fragen stets die Regierungsseite um eine Stellungnahme", bemerkt Kamienskaja.

In Weißrussland hören 400.000 Menschen zu, in Bialystok könne man 50.000 erreichen, sagt Stachwiuk, der Radio Racja 1999 mitbegründet hat. Wegen finanzieller Schwierigkeiten war der Betrieb von 2002 bis heuer im Jänner geschlossen. US-amerikanische und europäische Geldgeber, darunter das polnische Außenministerium, unterstützen Radio Racja, das mittlerweile 24 Stunden lang sendet.

Gesendet werden Staumeldungen ebenso wie Musik. "Wenn man nur Schwerverdauliches bringt, drehen die Leute ab", meint Stachwiuk. Polnische Lieder gibt es ebenso zu hören wie internationale Hits, der Großteil der Musik stammt aber aus Weißrussland: "Dort gibt es eine Liste von Bands, die nicht gesendet werden dürfen." Radio Racja sendet sie.

"Zu Zeiten der Solidarnosc war ich jung und dachte nicht an Gefahr - ich tue es heute noch immer nicht", sagt Stachwiuk. Nach einer Pause fügt er hinzu: "Ich habe keine Zeit, um Angst zu haben. Und es sollte generell keine Zeit sein, um Angst zu haben."

Mitarbeit:

Christopher Johnson