Menschenwürde darf beim Filzen nicht verletzt werden. | Unterschiedliche Expertenmeinungen. | Wien. Billa und Bipa tun es, Spar auch. Spind- und Taschenkontrollen bei Mitarbeitern sind in heimischen Handelsunternehmen keine Seltenheit. "In meiner Filiale kann ich jederzeit in jeden Spind und jede Tasche hineinschauen. Das muss ich sogar, weil die Mitarbeiter stehlen könnten", sprudelt es aus der Billa-Filialleiterin in Wiener Neudorf im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" heraus. "Spind- und Taschenkontrollen werden gemacht", bestätigt eine Billa-Filialleiterin aus Wien. Doch sie will nicht zu viel erzählen, sonst würde sie "eine auf den Deckel" bekommen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Auch bei Bipa gibt man sich verhalten. "Bei uns macht das der Rayonsleiter", so die Leiterin einer Filiale in der Mariahilfer Straße knapp. Mehr will sie dazu nicht sagen: "Wenden Sie sich an die Zentrale."
Das Thema ist heikel, weil sich immer wieder dieselbe Frage stellt: Wie weit dürfen Mitarbeiterkontrollen überhaupt gehen?
"Natürlich hat ein Unternehmer ein berechtigtes Interesse, seine Mitarbeiter zu kontrollieren. Und natürlich hat er auch ein Interesse daran, sein Eigentum vor Diebstahl zu schützen", erklärt Thomas Angermair, Arbeitsrechtsexperte und Partner in der Kanzlei Dorda Brugger Jordis. Auf der anderen Seite stehen jedoch die Interessen der Mitarbeiter - und deren Menschenwürde.
Thomas Aufner von der Arbeiterkammer (AK) Wien ist davon überzeugt, dass die Durchsuchung des Spinds oder der Tasche eine Verletzung der Menschenwürde ist. "Das muss man nicht zulassen". Ohne Zustimmung des Mitarbeiters hält er solche Kontrollen für unzulässig.
Betriebsvereinbarung oder Einzelzustimmung?
Etwas anders sieht es der Rechtsanwalt Andreas Tinhofer. Spind- und Taschenkontrollen seien Maßnahmen, die die Menschenwürde berühren, aber nicht unbedingt verletzen. Solche Kontrollmaßnahmen können durch die Zustimmung des Betriebsrats abgesegnet werden. Bei kleineren Unternehmen ohne Betriebsrat braucht der Arbeitgeber die Zustimmung von jedem einzelnen Mitarbeiter.
Spar hat eine solche Betriebsvereinbarung, erzählt Erich Glaser, Geschäftsführer der regionalen Spar-Zentrale in St. Pölten. Darin sei festgehalten, dass die Taschen der Mitarbeiter beim Verlassen des Geschäfts unangemeldet kontrolliert werden können. Spindkontrollen gebe es hingegen nicht.
Anders ist es bei Billa. Hier werden Spind- und Taschenkontrollen durchgeführt - ohne entsprechende Betriebsvereinbarung, bestätigt die Rewe-Konzernsprecherin Corinna Tinkler der "Wiener Zeitung". Es gibt jedoch "Richtlinien, die die Mitarbeiter unterschreiben müssen. Da steht drinnen, dass diese Kontrollen durchgeführt werden können". Tinkler betont, dass Durchsuchungen "nur im Beisein des Mitarbeiters stattfinden und nicht heimlich passieren". Außerdem müsste ein Verdacht vorliegen, "es ist nicht so, dass regelmäßig kontrolliert wird".
Anwalt Tinhofer glaubt nicht, dass das zulässig ist. "Erst durch eine Betriebsvereinbarung wird die Maßnahme rechtmäßig", erklärt er. Er ist überzeugt, dass der einzelne Mitarbeiter die fehlende Betriebsvereinbarung nicht durch seine individuelle Zustimmung ersetzen kann.
Arbeitgeber kann sich strafbar machen
Aber nicht alles, was der Betriebsrat absegnet, ist automatisch legitim. "Die Betriebsvereinbarung kann auch selbst zu weit gehen", gibt der Arbeitsrechtsexperte zu bedenken. Der Rechtsanwalt glaubt zum Beispiel nicht, dass Leibesvisitationen der Mitarbeiter zulässig sind - selbst, wenn dafür eine Betriebsvereinbarung vorliegt. "Das könnte die Menschenwürde verletzen und sittenwidrig sein."
Wenn sich der Mitarbeiter gegen eine Durchsuchung weigert, hat der Arbeitgeber keine Chance. "Er darf dem Dienstnehmer nicht die Tasche wegreißen - selbst wenn er einen konkreten Diebstahlsverdacht hat", warnt Angermair.
Damit würde sich der Arbeitgeber sogar strafbar machen. Nicht besser ist es, dem Mitarbeiter zu drohen, er würde seinen Job verlieren, wenn er nicht die Tasche öffnet. Das kann nämlich eine strafbare Nötigung sein. Ganz ohne Folgen bleibt es allerdings nicht, wenn man eine Durchsuchung seines Spinds oder seiner Tasche verweigert.
In einem allfälligen Gerichtsverfahren kann das dem Mitarbeiter zur Last gelegt werden und sich negativ auf seine Beweislage auswirken. Wie oft Spar und Billa bei ihren Kontrollen einen diebischen Angestellten erwischen, konnte keines der Unternehmen beziffern.