Zum Hauptinhalt springen

"Zeit, an die Arbeit zu gehen"

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die Ägypter bejubeln den Wahlsieg Al-Sisis. Der will nun die Wirtschaft ankurbeln und für Sicherheit sorgen. Eine wirkliche Demokratie könne es erst in 25 Jahren geben, sagt der neue Präsident.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kairo. Um Mitternacht tobt Kairo. Farbenfrohe Tröten plärren durch die Nacht, Musik dröhnt aus Lautsprechern auf Autodächern, das Feuerwerk dauert bis in die frühen Morgenstunden. Zehntausende feiern in der Nacht auf Mittwoch ihren Helden - Abdel Fattah al-Sisi. Das amtliche Endergebnis bezeugt dem Feldmarschall 96,9 Prozent Zustimmung: Ägypten ist im Al-Sisi-Fieber. Dessen Anhänger warten auf die Worte ihres neuen Pharaos auf dem Tahrir-Platz. Sie singen und tanzen zu orientalischen Rhythmen, Frauen wie Männer. Als der Präsident vor den Kameras des staatlichen Fernsehens erscheint, wird es kurz ruhiger. Seine Rede wird auf einer Leinwand auf den Platz übertragen, der seit dem Ausbruch der Revolution zum Symbol für Veränderungen im Land am Nil geworden ist. Doch es sind nicht nur schmeichelnde Worte, die Al-Sisi seinen 83 Millionen Landsleuten widmet. "Jetzt ist es Zeit, an die Arbeit zu gehen", ruft er ihnen zu. "Brot, Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit" waren die Slogans der Revolution, und Al-Sisi griff sie auf, um die Ägypter anzutreiben.

Das ist auch bitter nötig. Die Unruhen der letzten Jahre haben die Wirtschaft an den Rand des Kollaps geführt. Ägypten müsste Bankrott anmelden, wenn es nicht Milliarden-Kredite aus Saudi Arabien bekäme. Jetzt will der saudische König Abdullah eine Geberkonferenz für Ägypten organisieren, nachdem bereits zwölf Milliarden US-Dollar (8,8 Milliarden Euro) aus den Golfstaaten innerhalb eines Jahres nach Kairo überwiesen wurden. Doch Al-Sisi und seine Berater wissen, dass dies keine Dauerlösung ist und Ägypten nicht ständig eine Bettelposition einnehmen kann.

Einem seiner Berater soll Al-Sisi bereits gesagt haben, dass die Ägypter unter seiner Präsidentschaft harte Zeiten erwarten. Wenn er um fünf Uhr morgens aufstünde, um zu arbeiten, müssten dies auch seine Landsleute tun. Es gäbe kein Pardon unter ihm als Präsident, drohte Al-Sisi.

Weltmeister im Streiken

Seit dem Sturz Hosni Mubaraks im Februar 2011 führt das Land die weltweite Streikstatistik an. Laut einer Erhebung im öffentlichen Dienst, die letztes Jahr veröffentlicht wurde, arbeiten Millionen von Staatsangestellten täglich nicht mehr als 27 Minuten. Das Bruttoinlandsprodukt ist entsprechend niedrig.

Doch die Reform der Wirtschaft ist nur eine der großen Herausforderungen für das neue Staatsoberhaupt in Kairo. Die Wiederherstellung der Sicherheit im Land ist eine andere. Seit dem Sturz des Islamistenpräsidenten Mohammed Mursi im letzten Juli haben zahlreiche Anschläge vor allem gegen Sicherheitskräfte hunderte Tote gefordert. Der Anschlag auf einen Touristenbus auf der Halbinsel Sinai hat neben drei toten Urlaubern auch die Branche selbst hart getroffen. Reisewarnungen vieler westlicher Staaten bescheren den ehemals begehrten Badeorten leere Betten und Strände. Viele Ägypter haben deshalb für Al-Sisi gestimmt, weil sie überzeugt sind, dass nur er als ehemaliger Militärchef Sicherheit und Stabilität gewährleisten kann. Freiheit sei zwar gut für die Seele, hört man immer wieder auf den Straßen Kairos, reiche aber nicht zum Überleben.

Auf die Freiheiten einer Demokratie aber zielen die USA ab, wenn sie Al-Sisi zwar zum Wahlsieg gratulieren, gleichzeitig aber auffordern, Reformen in seinem Land einzuleiten. Al-Sisi dagegen kündigte in seiner Rede an, es werde 25 Jahre dauern, bis es eine wirkliche Demokratie in dem Land geben könne. Er hat sich gegen zu viele Freiheiten ausgesprochen. Diese könnten Aufruhr verursachen. Was er damit meint, zeigen die letzten Monate. Tausende Menschen wurden inhaftiert, weil sie angeblich eine "Gefahr für Ägypten" darstellen.

Kürzlich hat auch der beliebte Komiker Bassem Jussef erklärt, aus Sicherheitsgründen seine Show zu beenden. Das gegenwärtige Klima im Land sei nicht für politische Satire geeignet. Nun hat das Innenministerium Pläne angekündigt, nach denen ein neues System das Internet überwachen soll, um die sozialen Netzwerke zu kontrollieren. Die sozialen Medien zählten zu den wichtigsten Hilfsmitteln für den Aufstand gegen Mubarak 2011.