Zum Hauptinhalt springen

Zeit für ein "Fair"gaberecht

Von Berthold Hofbauer und Lena Karasz

Recht
© adobe.stock / Marco2811

Die unionsrechtlichen Vorgaben ermöglichen, die öffentliche Beschaffung auch als sozial- und wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument einzusetzen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In wirtschaftlich angespannten Zeiten leisten öffentliche Auftraggeber mit ihren Beschaffungen einen essenziellen Beitrag zur Ankurbelung der Konjunktur. Denn ein beträchtlicher Teil der öffentlichen Investitionen erfolgt im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge. Der öffentlichen Beschaffung kommt aber nicht nur in Krisenzeiten eine besonders hohe Bedeutung zu. Öffentliche Aufträge sind stets ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor. Die unionsrechtlichen Vorgaben ermöglichen, die öffentliche Beschaffung auch als sozial- und wirtschaftspolitisches Lenkungsinstrument einzusetzen. Solcherart kann die öffentliche Beschaffung auch einen starken Beitrag zur Umstellung auf eine sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaft leisten.

Verantwortung der öffentlichen Hand

Der Anteil öffentlicher Aufträge am BIP der EU wird auf mehr als 16 Prozent geschätzt. Mit anderen Worten: In Europa werden jährlich öffentliche Aufträge in Höhe von rund 2,1 Billionen Euro vergeben; allein in Österreich liegt dieser Wert bei stattlichen 61,7 Milliarden Euro pro Jahr.

Vor dem Hintergrund dieser Investitionssummen wird die gesamtwirtschaftliche Bedeutung öffentlicher Aufträge offenkundig beziehungsweise ist anzuerkennen, dass die öffentliche Vergabe auch als strategisches (Lenkungs-)
Instrument genützt werden kann.

Öffentliche Auftraggeber sollten nicht nur an einer Auftragsvergabe zum billigsten Preis interessiert sein, sondern auch daran, dass die Vergabe einen ökosozialen Nutzen erzielt. Dieser Ansatz wird bereits in einigen EU-Ländern konsequent verfolgt (so setzen beispielsweise in Spanien und Frankreich immer mehr öffentliche Auftraggeber ihre Marktmacht mit Erfolg als zusätzlichen Hebel für beschäftigungspolitische Maßnahmen ein).

Ökosozial in allen Phasen

Im Hinblick auf die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen wäre ein solcher Ansatz auch in Österreich wünschenswert. Es können enorme Effekte am Arbeitsmarkt erreicht werden, wenn auch nur Teile des staatlichen Beschaffungsvolumens an beschäftigungspolitische Aspekte geknüpft werden. Durch die Implementierung sozialer und ökologischer Vergabebedingungen (wie Beschäftigung von am Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen, Implementierung von Umweltmanagementsystemen) würde auch der Markt entsprechend reagieren. Öffentliche Auftraggeber können nämlich mit ihrem Einkaufsverhalten die Angebotsseite wesentlich steuern. Eine konsequente ökosoziale Vergabestrategie kann somit Beschäftigungschancen, Umweltschutz, soziale Inklusion, Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung erheblich fördern.

Bereits die "alte" Vergabe-Richtlinie aus 2004 hat festgehalten, dass Kriterien "im sozialen Bereich" zulässig sind. Dieser sozialpolitische Ansatz ist dem Regelungswerk geblieben und nunmehr als "Kann-Bestimmung" im Bundesvergabegesetz verankert. Auftraggeber können somit auf ein weites Spektrum ökosozialer Anliegen Bedacht nehmen und diese quer über den gesamten Vergabeprozess berücksichtigen (zum Beispiel im Rahmen der Leistungsbeschreibung, technischen Spezifikation, Zuschlagskriterien). Wesentlich ist, dass die ökosozialen Aspekte nicht diskriminierend sind und mit dem Auftragsgegenstand in Zusammenhang stehen. Bei bestimmten Leistungsvergaben besteht sogar eine gesetzliche Pflicht, ökologische, soziale und/oder innovative Aspekte bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen (zum Beispiel bei der Lebensmittelbeschaffung, bei Gebäudereinigungs- und Bewachungsdienstleistungen oder bei Gesundheitsdiensten).

Das grundsätzlich weite Ermessen bei sozialpolitischen Zielen wurde unlängst auch vom Europäischen Gerichtshof bekräftigt, der Ende 2021 eine Vergabe in Spanien an integrative Betriebe bestätigt hat. Die Möglichkeit, Aufträge ausschließlich integrativen Betrieben vorzubehalten, besteht in Österreich im Übrigen auch. Zudem kann festgelegt werden, dass für die Auftragserfüllung eine Mindestquote an benachteiligten Arbeitnehmern vorliegen muss. Weniger eingriffsintensiv und von ebenso großer Wirkung ist in diesem Zusammenhang ein festgelegtes "Design für Alle": Demnach sollen die Planung und Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen und Infrastrukturen der öffentlichen Hand stets derart erfolgen, dass deren Nutzung für alle Menschen - ohne individuelle Anpassung oder Assistenz - möglich ist. Das "Design für Alle" richtet sich somit auch gegen das neue Phänomen des "hostile design", wonach bestimmte Randgruppen vom öffentlichen Raum ferngehalten werden sollen (etwa Obdachlose durch das Vorsehen kleiner, unterteilter Sitzflächen).

Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels

In der Vergabepraxis spielen soziale Aspekte bis dato noch eine stark untergeordnete Rolle. Infolge der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Klimawende, insbesondere für den Arbeitsmarkt, wäre ein Paradigmenwechsel aber angebracht. Angesichts des Umfangs der gesamten öffentlichen Beschaffungen und der gegebenen budgetären Grenzen für direkte arbeitsmarktpolitische Interventionen könnten öffentliche Vergaben ein effektiver, zusätzlicher Hebel für beschäftigungspolitische Maßnahmen sein. Oder wie stehen Sie zur Idee, über Ausschreibungen Beschäftigung zu schaffen?

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at