Die Lebensqualität hängt entscheidend davon, was wir wann tun. | Selbstbestimmung bei der Zeiteinteilung als neues Grundrecht. | Berlin/Wien. Wer kennt das nicht: Trotz kommoder Arbeitzeiten von 10 bis 18 Uhr bleibt das kaputte Fahrrad wochenlang daheim stehen. Denn das Fahrradgeschäft hat auch nur zu dieser Zeit offen. Gleiches gilt für Ärzte und Ämter, Computerläden oder Marktstände: Selbst wer sich händeringend eine halbe Stunde früher von der Arbeit loseist, um noch schnell Fisch kaufen zu können, stürmt den Laden gerade noch hechelnd in letzter Minute. | Kommentar: Zeit ist wie eine Uhr im Herzen
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Von der gesetzlich vorgeschriebenen Hauptkehrung des Rauchfangkehrers "zwischen 7 und 13 Uhr" ganz zu schweigen - die ist nur mit einem halben Urlaubstag zu lösen. Und so teilen wir uns unsere Zeit rund um sperrige Termine ein - und verschnaufen einzig am Feiertag. Wenn überhaupt.
Die Lebensqualität hängt entscheidend davon ab, wie wir uns unsere Zeit im Alltag einteilen können, betont der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik in Berlin, Ulrich Mückenberger. So würden Behörden, die auch am Samstagvormittag geöffnet hätten, den Alltag vieler Menschen entspannen. Ein solches von ihm geleitetes Experiment beim Bürgerservice-Zentrum in Bremen habe "zu Lebensqualitätsgewinnen geführt", erklärte der emeritierte Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Hamburg kürzlich in gegenüber Deutschlandradio.
Mückenberger plädiert insgesamt für das Grundrecht einer selbstbestimmten Lebensführung. Diese setzt die Freiheit der persönlichen Zeitgestaltung voraus. Die Bedingung dafür, dass dieses Grundrecht im gesellschaftlichen System funktionieren könne, sei allerdings das koordinierte Zusammenwirken der unterschiedlichen Eigenzeiten. Denn wenn jeder nur in seinem eigenen Rhythmus verharrt, kommt Chaos heraus.
Um die Koordination dieser Eigenzeit zu gewährleisten, müsse das "Recht auf eigene Zeit" juristisch verankert sein. Ansonsten würden jene mir mehr Macht auf Kosten anderer tun, was sie wollen. Denn "warum sollen sich mit Macht und/oder Geld ausgestattete Akteure mit den zeitlichen Belastungen anderer Akteure koordinieren?", so Mückenberger in seinem Plädoyer "Was ist eigentlich Zeitpolitik?". Ähnlich wie die Sozialpolitik die materiellen Lebensbedingungen gestaltet, macht Zeitpolitik die zeitlichen Bedingungen des Alltags zum Gegenstand bewusster Gestaltung durch die Politik.
Öffentliche und private Dienstleistungen müssen demnach konsequent umgestaltet werden und die zeitlichen Zwänge und Bedürfnisse ihrer Nutzer berücksichtigen. Die Dienstleister müssten nicht nur ihre eigenen Sicht der Dinge berücksichtigen - etwa wie ihre Angestellten am zufriedensten sind -, sondern auch die Lebenslagen ihrer Kunden.
Kindergärten und Schulen
In diesem Sinn seien vorteilhafte Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen, die mit den Arbeitszeiten der Eltern vereinbar sind, wichtig für die Lebensqualität von Familien. Auch veränderte Schulzeiten seien denkbar - je nachdem, zu welcher Tageszeit Kinder am besten lernen.
Das subjektive Zeiterleben hängt laut Mückenberger von der persönlichen Situation ab - etwa ob jemand arbeitslos sei oder in einer "High-Speed-Berufsrolle", in der sich "der Arbeitsvollzug und der Alltag ungeheuer beschleunigt" hätten. In der Dienstleistungsgesellschaft verlieren Lebenszyklen ihre traditionellen Rhythmen und beschleunigen sich, Phasen der Beständigkeit und Ruhe werden zur Ausnahme.
"Die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit ist unabdingbar, wenn die Vereinbarkeit unterschiedlicher Lebensbereiche wirklich erreicht werden soll", so der Sozialforscher. Zeitstrukturen der Erwerbsarbeit sollten nicht mehr starr und fremdbestimmt, sondern möglichst frei wählbar sein. Innerhalb eines "Lebensarbeitszeit sollten die Menschen ihre Arbeitszeiten den persönlichen Bedürfnissen und der biografischen Struktur anpassen können. Selbst dann, wenn sie vorübergehend weniger Geld verdienen.