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Schleppende Annahme der Mobilitätskarte ist laut Experten ein gutes Zeugnis für die Wiener Öffis.
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Wien. Auf den ersten Blick eigentlich ein guter Deal. Für zwölf Euro Aufpreis auf die Wiener-Linien-Jahreskarte gibt es Vergünstigungen beim CAT, den Wipark-Garagen der Stadt Wien, E-Ladetankstellen und man kann damit ein Citybike mieten, das Taxi bezahlen oder ein Auto beim Carsharing-Anbieter DriveNow mieten. Eine Karte für alles quasi.
Trotzdem scheint das Interesse der Bevölkerung an der Mobilitätskarte der Wiener Linien sehr überschaubar. Erhoffte man sich bei der Einführung im März 2015 noch 30.000 Nutzer nach den ersten zwei Jahren, sind es jetzt gerade einmal 3000. Also Ziel verfehlt? Daniel Amann, Sprecher der Wiener Linien, zieht gegenüber der "Wiener Zeitung" trotz der zurückhaltenden Annahme der Mobilitätskarte eine positive Bilanz.
Zufrieden mit 0,5 Prozent
"Unser Ziel war grundsätzlich, ein Produkt auf den Markt zu bringen, das verschiedene Mobilitätsformen miteinander vereint. Das gab es bisher in Wien noch nicht und da wollten wir vorne mit dabei und die ersten sein. In dem Sinne sind wir schon zufrieden, dass wir 3000 Kunden haben, die die Karte nutzen und auch die Partnerangebote in Anspruch nehmen", erklärt er.
Trotzdem - 3000 Kunden sind im Vergleich zu den mehr als 700.000 Jahreskartenbesitzern verschwindend wenig, gerade einmal knapp ein halbes Prozent. Ein Armutszeugnis für die Mobilitätskarte? "Eigentlich ist es sogar ein gutes Zeichen für die Verkehrsbetriebe", meint J. Michael Schopf vom Forschungsbereich für Verkehrsplanung an der TU Wien.
"Mit den Öffis und den eigenen Füßen kommt man in Wien sehr weit. Da ist man mit der Jahreskarte schon sehr gut bedient und braucht kein Zusatzangebot." Er begrüßt jedenfalls die Einführung der Mobilitätskarte, die er als zukunftsorientiert erachtet, "auch, wenn sie noch nicht so einschlägt."
Außerdem sei es wichtig, dass die öffentliche Hand ein solches Angebot umsetze, um die Öffis auch fix in die von der Stadt angestrebte Multimodalität - die parallele Nutzung verschiedener Verkehrsmittel - zu integrieren. Multimodalität als Generationenfrage "Insgesamt denke ich, dass die multimodale Zeit noch nicht reif ist oder erst kommt", begründet Verkehrswissenschafter Schopf das mangelnde Interesse an der Mobilitätskarte. Er gibt zu bedenken, dass einige ihrer Zusatzangebote wie vergünstigtes Aufladen an E-Tankstellen derzeit noch nicht auf ein dementsprechendes Angebot träfen. Gäbe es beispielsweise mehr Elektroautos in Wien, würde auch der Bedarf nach der Mobilitätskarte steigen.
Außerdem sei Multimodalität auch eine Generationenfrage. "Ich glaube, dass die Klientel, die momentan eine Jahreskarte besitzt, nicht unbedingt auf das Citybike abfährt. Ich denke da eher an die jugendlichen Studenten, die mit Apps leben und ihr Verkehrsleben online organisieren. Aber diese Leute haben derzeit noch andere Karten als die normale Jahreskarte. Die werden da erst reinwachsen", so Schopf.
Auch Wiener-Linien-Sprecher Daniel Amann betont, dass Verhaltensänderungen in der Bevölkerung ihre Zeit bräuchten. Ähnliche Töne schlägt auch Neos-Verkehrssprecherin Bettina Emmerling an: "Das Kundensegment für diese Mobilitätskarte ist extrem klein, denn Multimodalität ist noch nicht so weit angekommen.
"In den Sand gesetzt"
Die Menschen fahren ihre Gewohnheitswege und steigen kaum auf andere Verkehrsmittel um - in dem Sinne, dass sie von den Öffentlichen auf Leihfahrzeuge wechseln oder Ähnliches." Derartige Veränderungen bräuchten Zeit, wie auch Erfahrungen aus anderen europäischen Städten beweisen würden. Dass die Stadt die Mobilitätskarte anbiete, sei jedoch "trotz des zurückhaltenden Erfolges extrem begrüßenswert", so Emmerling.
Im Gegensatz dazu findet die Wiener ÖVP trotz positiver Einstellung zur Mobilitätskarte keine lobenden Worte für die Stadtregierung. "Rot-Grün schafft es sogar, die sinnvollsten Projekte vollkommen in den Sand zu setzen", kritisiert Landesobmann Gernot Blümel. Er verweist auf die Schwierigkeiten bei der Einführung vergangenes Jahr (IT-Probleme und mangelnde personelle Ressourcen bei den Wiener Linien) und bemängelt, dass die Wiener Linien dieses "durchaus vernünftige Angebot" nicht ausreichend kommuniziert hätten.
"Wir sind mit Maß und Ziel umgegangen und haben jetzt nicht die ganze Stadt mit Werbeplakaten zugepflastert", betont Daniel Amann. Beispielsweise habe man Ende 2015 Jahreskartenbesitzern angeboten, bei Verlängerung kostenlos auf die Mobilitätskarte umzusteigen. "Das wurde auch stark angenommen", so der Sprecher der Wiener Linien.
Mehr als 3000 Umsteiger können es aber trotzdem nicht gewesen sein. Neben einer verstärkten Kommunikation sollen auch die Angebote der Mobilitätskarte erweitert werden. "Die Jahreskarte hat sich ja nicht vermehrt, weil wir mehr darüber gesprochen haben, sondern das Angebot ausgebaut und verbessert haben. Da wird das Verkaufsargument dann natürlich stärker", gibt Amann zu bedenken. Zwar konnte er noch keine neuen Partner für das Service nennen, stellte aber eine eigene App für die Mobilitätskarte in Aussicht, die gerade entwickelt werde.
Nur eine Überbrückung
Auf Wiens Autobahnen herrscht oft Stauchaos, unter anderem erst jüngst auf der A22. Könnte sich die Mobilitätskarte mit ihren Zusatzfunktionen da nicht für Pendler als Alternative zum Auto erweisen? Immerhin bietet sie die Möglichkeit, in den Wipark-Garagen vergünstigt den eigenen Pkw abzustellen, auch wenn es keine Ermäßigung für Dauerparker gibt. "Da muss man vorsichtig sein", gibt Verkehrswissenschafter Schopf zu bedenken. Die Zusatzfunktionen der Mobilitätskarte, die im Kern immer noch die Jahreskarte darstellt, seien nicht dafür ausgelegt, den Massenverkehr zu bewältigen. Sie seien immer anlassbezogen, beispielsweise, um Wege von oder zu Stationen zu überbrücken. "Wenn die Erschließung des öffentlichen Verkehrs in bestimmten Gebieten noch nicht so gut ist, haben die Menschen immer noch Gründe, mit dem Auto zu fahren".
Das Auto sei immer noch die dominante Wahl bei Reisen von der Peripherie nach Wien. Eine Ausweitung der öffentlichen Verkehrsmittel und eine dementsprechende Gestaltung der Anschlüsse im Umland Wiens seien die wichtigsten Maßnahmen, um Staus einzudämmen.
Dies würde die Position der Jahreskarte als Alternative zum Auto stärken. "Eine Mobilitätskarte bewirkt dann etwas, wenn im Verbund auch der Verkehr außerhalb Wiens substanziell ergänzt wird", so Schopf. Als Beispiel nennt er "nextbike", das niederösterreichische Pendant zum Citybike, als mögliches Zusatzangebot, mit dem der Weg zu Bahnhöfen und Stationen erleichtert werden könnte.