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"Zeit, nach links abzubiegen"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Kaum jemand wettert so gegen Angela Merkels Sparpolitik wie Alexis Tsipras, der Spitzenkandidat der Europäischen Linken.


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Athen. Er lächelt immerzu, zieht eloquent das Publikum in seinen Bann - und erntet nach seiner wohlfeilen Rede stehenden Applaus. Die Ovationen waren gleichwohl garantiert: Alexis Tsipras, 39, Griechenlands Oppositionschef vom "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza) und zugleich Spitzenkandidat der Europäischen Linkspartei für die bevorstehenden Europawahlen, sprach kürzlich auf dem Berliner Parteitag der deutschen Die Linke - ein Heimspiel für den Gast aus Athen.

Was sich Tsipras bei dieser Gelegenheit erwartungsgemäß nicht nehmen ließ: seine politische Lieblingsgegnerin Angela Merkel frontal anzugreifen. Diesmal tut er dies nur einen Steinwurf vom Regierungssitz der deutschen Bundeskanzlerin entfernt. "Wir müssen die zerstörerische Sparpolitik stoppen, die Europa teilt. Wir müssen dieses Nord-Süd-Gefälle überwinden", hebt er hervor. Tsipras’ Stimme vibriert: "Die Frage ist klar: Sind wir für ein Europa der Völker oder für ein Europa der Bankiers? Sind wir für eine Sparpolitik, die Europa tötet? Oder für Demokratie und Solidarität, die Europa vereint? Sind wir für die Europäische Linke oder für Frau Merkel?" Die Antwort scheint klar: "Merkel oder Syriza", so lautet allerorts Tsipras’ simpler, einprägsamer Slogan. Für den ambitionierten Griechen sieht Europa so aus: Hier die EU und die Eurozone dominierende Merkel samt ihren gleich gesinnten Regierungskollegen der Euro-Krisenländer, den "Merkelisten", wie Tsipras sie gerne nennt. Dort ihr einzig wahrer Gegner: die Europäische Linke - mit ihm an der Spitze.

Palermo, Porto, Prag, Brüssel und Berlin: Tsipras, der Syriza bei den griechischen Parlamentswahlen 2012 von zuvor mageren vier Prozent auf fulminante 27 Prozent katapultierte und seither kometenhaft zum gefeierten Superstar in den Reihen der Europäischen Linken emporgestiegen ist, tourt im Endspurt vor dem Urnengang für das EU-Parlament quer durch Europa, um medienwirksam für seine symbolträchtige Kandidatur zu werben. Tsipras trotzt den Strapazen, er tut das gerne. Denn schon alleine die Kür zum Spitzenkandidaten empfindet der Grieche als Ehre, gar Ritterschlag seiner Genossen fernab der Heimat.

Wettern gegen die Austerität

Tsipras spricht gerne in Metaphern. So gelte es, in Europa "die Sparmauer abzureißen, die von den drei Musketieren der Austerität gebaut worden ist: den Konservativen, den Liberalen und den Sozialdemokraten". Es sei Zeit, in Europa "nach links abzubiegen". Und: Er wisse, dass am 25. Mai "alle Blicke erneut nach Griechenland gerichtet" seien. Denn: "In Griechenland hat der Teufelskreis von Austerität und sozialer Verwerfung begonnen. In Griechenland wird nun die Veränderung beginnen." Damit sie so rasch wie möglich ihren Anfang nehme, müsse Syriza die Europawahlen in Griechenland klar gewinnen. Syrizas Devise: "Am 25. Mai wählen wir, am 26. Mai gehen sie."

Mit "sie" meinen Tsipras und Co. die Athener Koalition aus konservativer Nea Dimokratia (ND) und Pasok-Sozialisten, nach Lesart von Tsipras eben jene unterwürfigen "Merkelisten" in Athen. Nur: Dem Gros der jüngsten Meinungsumfragen in Athen zufolge ist ein Regierungswechsel nicht vorprogrammiert. Syriza liefert sich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen mit der ND. Beobachter sind sich einig: Syriza ist bisher nicht in der Lage, vom fortgesetzten Frust der krisengeplagten Griechen im erhofften Ausmaß zu profitieren.

Der Nährboden ist dafür gegeben. Immerhin 56 Prozent der Hellenen glauben, Griechenland werde sich entgegen der Prognosen der Regierung in den nächsten zwölf Monaten in einem noch schlechteren Zustand als heute befinden, stellt das jüngste Eurobarometer fest. Für zwei Drittel ist die grassierende Arbeitslosigkeit das Problem Nummer eins. Kein Wunder, da die Arbeitslosenrate von unter zehn Prozent im Herbst 2008 auf derzeit 28 Prozent in die Höhe geschnellt ist. Sagenhafte 60 Prozent der jungen Griechen sind mittlerweile ohne Job.

Auch Tsipras will den Euro

Dennoch: Stattliche 69 Prozent der Griechen plädieren für den Verbleib in der Eurozone. Die innerparteiliche Syriza-Opposition zieht zwar Hellas’ Rückkehr zur Drachme ausdrücklich als durchaus reale Option in Erwägung. Tsipras, der sich und Syriza als "überzeugte Pro-Europäer" betrachtet, beteuert aber gebetsmühlenartig, ein Euro-Ausstieg Griechenlands käme auch unter seiner Ägide in Athen definitiv nicht infrage.

Derweil sprüht der Linksradikale mit dem smarten Lächeln vor Zuversicht - und kann sich dabei Seitenhiebe auf Merkel nicht verkneifen. "Es tut mir leid, dies hier in Berlin zu sagen und damit die Bundeskanzlerin unglücklich zu machen: Bald wird sie es mit einer linken Regierung in Griechenland zu tun haben." Noch unglücklicher würde Tsipras als künftiger Athener Regierungschef die mächtige Merkel machen, falls er mit Blick auf den griechischen Schuldenberg an seinen Forderungen festhielte. Laut Tsipras sei die griechische Staatsschuld "ohne eine drastische Streichung von einem großen Teil des Nennwertes der Schulden" einfach "nicht tragbar".

Um wie viel Geld es dabei nach seiner Vorstellung genau ginge, will Tsipras bis dato nicht verraten. Feststeht, dass sich Athens Staatsschuld heute auf 328,2 Milliarden Euro beläuft. Griechenlands größter Gläubiger ist die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds. Die ungeliebte Merkel hat Tsipras bis dato jedenfalls noch nie getroffen. Es scheint in diesen Tagen so, als tue er alles dafür, dass sich wenigstens dies so bald wie möglich ändert.