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"Zeitachse nicht einzuhalten"

Von Christian Rösner

Politik

Für Gesundheitsökonom Pichlbauer ist Ärztereduktion machbar, aber nicht bis 2018.


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Wien. Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) will den Spitalsalltag in Wien komplett umdenken und mithilfe einer völlig neuen Diensteinteilung auch 10 Prozent der Ärzte bis 2018 abbauen. Einige Primarärzte haben das scharf kritisiert, weil dann nicht mehr die gewohnte Leistung für die Patienten erbracht werden könnte und es außerdem dadurch immer schwerer werde, junge Ärzte zu halten. Konkret will der KAV in seinen Spitälern die Kernarbeitszeit zwischen 7 und 19 Uhr festlegen und sich von den um 13 Uhr beginnenden Nachtdiensten verabschieden - die "Wiener Zeitung" hat berichtet.

Nach einem Gespräch der Primarärzte mit Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely scheint nun wieder alles in Ordnung zu sein: Wehsely habe den Ärzten zugesichert, dass jede Abteilung einzeln evaluiert werden soll. Leistungen und Personal sollen dabei erhoben und die Strukturen den Erfordernissen entsprechend mittelfristig geändert werden - so wie das auch der KAV bereits der "Wiener Zeitung" erklärt hatte.

Doch Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer ist weiterhin skeptisch. Im Krankenhaus Horn etwa habe man zwei Jahre lang gebraucht, um über die neuen Prozesse einer zentralen Aufnahmestation zu diskutieren. Und das sei im Wiener Vergleich ein winziges Spital. "Ich maße mir an zu behaupten, dass das ein gigantischer Betrieb wie das AKH, das immerhin ein Drittel seiner Patienten umschichten will, mit seinen 3000 Ärzten, 8000 Krankenschwestern und 18.000 Mitarbeitern das nicht in zwei Jahren diskutieren kann", meint Pichlbauer.

Das wäre dem Experten zufolge nur dann möglich, wenn man alle Change-Management-Firmen Österreichs für diese Aufgabe beauftragen würde, damit sie jede einzelne Abteilung begleitet. Denn den Primarärzten, die diese Aufgabe jetzt übernehmen sollen, sei das nicht zuzutrauen, weil sie es 20 Jahre lang nicht mussten.

Das heißt laut Pichlbauer, dass sich die Abteilungen bisher mit fixen Dienstplänen mehr oder weniger selbst organisiert haben - egal, ob nun drei Nachtdienste benötigt wurden oder nicht, sie wurden eingehalten. "Das ist zwar nicht effizient, aber es hat funktioniert", so Pichlbauer. Künftig müssten die Primarärzte diese Managementfunktion und die gesamte Koordination der Abteilungen übernehmen.

"Excel-Files reichen nicht"

Um hier einen Überblick zu bekommen, würde eine Evaluierung durch Excel-Files mit aufgezeichneten Dienstzeiten - so wie sich das der KAV vorstelle - nicht reichen. "Das sind komplexe Prozesse, die lange beobachtet werden müssen, um daraus neue, effizientere Dienstpläne ableiten zu können", meint Pichlbauer.

Zwar könnte man rein rechnerisch feststellen, wo ein Nachtdienst eingespart werden könnte. Welche Leistungen hier allerdings wirklich erledigt wurden, sei daraus nicht abzuleiten. "Die Frage ist, ob der Arzt in diesem Dienst wirklich nichts getan hat. Oder ob er die Nachtdienste - wie das schon seit eh und je üblich ist - dazu genutzt, um alte Briefe zudiktieren oder sich in medizinische Literatur einzulesen. Diese Leistungen würden dann nämlich auch gestrichen." Und der Primararzt wisse im Regelfall nichts von diesen Abläufen, weil er es eben bis dato nicht wissen musste.

Dass eine Reform notwendig ist, das ist für den Experten unbestritten. Doch wer werden tatsächlich die Leidtragenden dieser Reform sein? "Wenn es wirklich eine Reform gibt, die auch tatsächlich umgesetzt wird, dann muss niemand zurückstecken", sagt Pichlbauer. Härtefälle seien allerdings nicht auszuschließen. Davon betroffen wären dem Gesundheitsökonomen zufolge zwei Ärztegruppen: die, die in Pension gehen und nicht nachbesetzt werden, und jene mit befristeten Verträgen. Bei Letzteren gehe es ausschließlich um Jungärzte.

Gefahr der Ärzteflucht

"Also zum Beispiel Ärzte, die eine Ausbildung zum Facharzt gemacht haben und dann nicht mehr verlängert werden." Oder junge Ärzte mit "semi-legalen" Kettenverträgen", die nach einem Turnus auf derselben Station in eine Facharztausbildung wechseln und einen Jahresvertrag bekommen, obwohl sie schon zwei Jahre Stehzeiten auf der Station hatten.

Wenn aber die Patienten verteilt und die Berufsgruppen abgestimmt sind, müsste die Effizienzsteigerung grosso modo allen zugute kommen. "Wenn es aber nur alleine eine Kürzung gibt, dann sind die Leidtragenden alle Ärzte - die Jungärzte, weil sie nicht verlängert werden. Und bei den älteren Ärzten wird es zu einer Verdichtung kommen, weil die guten abwandern werden." Vom Papier her könnte die Reform laut Pichlbauer also funktionieren, er glaubt nur nicht, dass die Zeitachse einhaltbar ist. "Wenn wir in Wien bis 2018 die 382 Ärzte eingespart sein müssen und die Prozesse wurden nicht verändert, dann werden die Ärzte scharenweise Wien verlassen. Aber bevor das passiert, wir der Widerstand ins Exorbitante steigen."