In Irland ist seit 35 Jahren ein beinahe vollständiges Abtreibungsverbot in der Verfassung verankert. Ein Referendum könnte das Verbot kippen.
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London. Eine Frage, die jahrzehntelang tabu war in Irland, wird in den nächsten Wochen wieder die öffentliche Debatte auf der "Grünen Insel" beherrschen. Vor Ende Mai noch sollen Iren und Irinnen in einem Referendum über die Legalisierung von Abtreibung abstimmen. Für die von der Regierung vorgeschlagene Reform - einen Schritt von historischer Bedeutung -wird eine Verfassungsänderung benötigt. Denn das praktisch totale irische Abtreibungsverbot ist seit 35 Jahren in der irischen Verfassung verankert. Kein anderes europäisches Land hat eine vergleichbare "unantastbare" Regelung.
Das soll sich nun, nach dem Willen des irischen Regierungschefs Leo Varadkar und seiner Minister, ändern. Diese Woche sprach sich das Kabinett in Dublin nach vierstündiger Debatte einstimmig für die Verfassungsänderung aus. Die notorische "Zusatzklausel 8", das sogenannte "Eighth Amendment", soll aus der Verfassung getilgt und durch eine neue Klausel ersetzt werden, die dem irischen Parlament freie Hand bei der Gesetzgebung in Sachen Abtreibung verschafft. Zugleich will die Regierung ein Gesetz vorbereiten, das Schwangerschaftsabbruch ohne Restriktion binnen 12 Wochen und unter bestimmten Umständen auch danach erlaubt.
Premier für Liberalisierung
Vor Ende Mai soll das Referendum stattfinden, weil dann noch die meisten irischen Studenten sich im Lande aufhalten und mitstimmen können. Im Juni, nach den Prüfungen, reisen viele Studenten für den Sommer zum Geldverdienen in die USA. Ein Referendum im Mai käme auch mehrere Monate vor dem Irland-Besuch des Papstes, der für den Spätsommer vorgesehen ist. Regierungschef Varadkar, von Beruf Arzt und vormals auch irischer Gesundheitsminister, hat eine Reform als dringend erforderlich bezeichnet und versprochen, sich für die Liberalisierung einzusetzen. In der Tat existiere ja schon heute Abtreibung in Irland, sagte Varadkar in Anspielung auf illegal eingeführte Morning-after-Pillen: "Aber die ist unsicher, unreguliert und ungesetzlich dazu."
Seiner Meinung nach, sagte Varadkar, "können wir nicht länger unsere Probleme exportieren und unsere Lösungen importieren". Mit dem "Exportieren" meinte er die Tatsache, dass jedes Jahr noch immer tausende von Irinnen über die Irische See nach England reisen, wo Abtreibung kein Verbrechen ist.
Verbot seit 1983 in Verfassung
Das "Eighth Amendment", um dessen Abschaffung es geht, war auf Betreiben katholischer Kirchenfürsten im Jahr 1983 in der Verfassung verankert worden, damit keine Regierung eine "Aufweichung" des Verbots wagen würde. Es stellt das Lebensrecht eines Fötus prinzipiell dem einer Schwangeren gleich. Abtreibung ist damit grundsätzlich ein krimineller Akt in Irland. Ein Arzt, der eine Abtreibung durchführt, muss noch immer mit 14 Jahren Gefängnis rechnen. Zum Austragen gezwungen sind bis heute selbst Frauen und Mädchen, die nach einer Vergewaltigung oder durch Inzest schwanger wurden. Auch schwere und sogar lebensbedrohende Missbildungen bei Föten sind nach irischem Recht kein Abtreibungsgrund.
Amnesty International hat seit langem darauf verwiesen, dass Irland eine geradezu "mittelalterliche" Haltung zur Abtreibungsfrage habe. Irinnen würden "wie Verbrecherinnen behandelt, stigmatisiert und zur Reise ins Ausland gezwungen", klagt der Verband.
Mehrere Bemühungen zur Abschaffung der Verfassungs-Klausel sind in der Vergangenheit ins Leere gelaufen. Religiöse und sozialkonservative Gruppen hielten vehement allen Vorstößen stand. Erst jetzt deutet sich Wandel an.
Neuesten Umfragen zufolge sind mehr als 60 Prozent aller Wahlberechtigten, die sich bereits eine Meinung gebildet haben, zur geplanten Verfassungsänderung bereit.
Umdenken in letzter Zeit
Zwar sind die beiden "staatstragenden" Mitte-rechts-Parteien, Fine Gael und Fianna Fáil, in der Abtreibungsfrage zutiefst gespalten. Und die katholische Kirche hat heftigen Widerstand angesagt. Ebenso wie Varadkar, der Fine Gael führt, steht aber auch Oppositions-Führer Micheál Martin von Fianna Fáil klar auf Seiten der Reformer. Beide im Grunde konservativen Politiker waren früher Anhänger des Abtreibungs-Verbots, haben sich jedoch in jüngsten Jahren zu einer "neuen Sichtweise" durchgerungen - gegen erbitterten Widerstand aus den eigenen Reihen.
Eine Reihe spektakulärer Fälle führte vielerorts in Irland zum Umdenken. Der schaurigste war der der indischen Ärztin Savita Halappanavar, die 2012 in kritischem Zustand in eine Klinik in Galway eingeliefert wurde und der man dort trotz inständiger Bitte einen Schwangerschaftsabbruch verweigerte, "weil wir ein katholisches Land sind", wie ihr eine Krankenschwester erklärte.
Halappanavar starb wenig später an den Folgen einer Fehlgeburt. Zehntausende zogen damals zu empörten Protesten auf die Straßen.