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Zeitenwende im Atlantik

Von Gerald Wolf

Wissen
Ein U-Boot läuft zur Feindfahrt in den Atlantik aus (Jänner 1943).
© ullstein bild

Im Mai 1943 drehte sich für Hitlerdeutschland die Lage im U-Boot-Krieg gegen die alliierte Schifffahrt.


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Am 23. Mai 1943, einem Sonntag, wurde im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung unter Abschnitt "V. Ubootskriegführung" vermerkt: "Die schweren Ubootsverluste dieses Monats, welche bisher 30 bis 34 Uboote betragen, zwingen zu vorübergehenden Änderungen der bisherigen operativen Maßnahmen in der Ubootskriegführung [sic!]." Als ein Grund dafür wurde die "im Laufe des letzten Jahres immer stärker werdende (...) Luftsicherung der Geleitzüge (...) durch den Einsatz von Hilfsflugzeugträgern" genannt; als ein weiterer die "Luftüberwachung" mithilfe der "vom Gegner entwickelten vorzüglichen Ortungsgeräte, welche (...) bei uns kein Gegenmittel [haben] und (...) die Uboote infolge Überraschung stärkstens [gefährden]."

Gegen Ende des Eintrags wurde dennoch ein optimistischer Blick in die Zukunft getan. Es gelte "Kräfte zu sammeln, die dann mit dem Einsatz [zuvor aufgezählter] neuer Waffen erneut im Nordatlantik [offensiv] werden können."

Zum Zeitpunkt seiner Abfassung konnten selbst Insider des Seekriegs nicht ahnen, dass dieser Eintrag eine folgenschwere Wende in der sogenannten "Atlantikschlacht" des Zweiten Weltkriegs markierte. Immerhin hatten die deutschen U-Boote im vorangegangenen Jahr im Atlantik rund 1.200 alliierte Schiffe mit insgesamt fast 6,3 Millionen Bruttoregistertonnen (BRT) Schiffsraum versenkt.

Dieser Erfolg war aber nicht einer ausgefeilten Strategie, sondern hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass im ersten Halbjahr 1942 vor der Ostküste der USA und in der Karibik noch ein fast friedensmäßiger Schiffsverkehr aufrechterhalten worden war. Mit der Einführung des Konvoisystems für den US-amerikanischen Schiffsverkehr war die Zeit, in der die "Grauen Wölfe", wie man die U-Boote nannte, hier leichte Beute machen konnten, vorüber gewesen.

Alliierter Gegenschlag

Auf der Konferenz von Casablanca im Jänner 1943 hatten die Westalliierten vereinbart, dem Krieg gegen die deutschen U-Boote im Atlantik höchste Priorität einzuräumen. Nur dadurch glaubten sie, die Voraussetzungen für eine Invasion zur Befreiung Europas schaffen zu können. Die Folgen dieser strategischen Neuausrichtung zeigten sich für die U-Boote bereits in den großen Geleitzugsschlachten, die in den ersten Monaten des Jahres 1943 ausgefochten wurden.

Das Boot U 117 wird am 7. August 1943 bei den Azoren attackiert und versenkt.
© The National Archives UK / No restrictions / via Wikimedia Commons

Der Kampf gegen den Geleitzug HX 229 (40 Schiffe mit dem Ziel Großbritannien) beispielsweise, der Mitte März 1943 mit der Versenkung von 13 Schiffen endete, konnte auf deutscher Seite noch als großer Erfolg gewertet werden. Aber schon die Anfang und nach Mitte Mai 1943 gegen die Geleitzüge ONS 5 (42 Schiffe) und SC 130 (37 Schiffe) südlich von Grönland ausgefochtenen Kämpfe ließen erkennen, dass sich das Blatt zuungunsten der U-Boote zu wenden begann.

Konnte ONS 5 zunächst durch die Versenkung von elf Schiffen binnen zwei Tagen in arge Bedrängnis gebracht werden, so bewirkte starker Nebel eine dramatische Wende zugunsten der sieben Geleitsicherungsschiffe. Mithilfe ihrer Radargeräte konnten diese die jetzt quasi "blinden" deutschen U-Boote genau lokalisieren. Fünf der insgesamt an den Kämpfen beteiligten 41 U-Boote wurden versenkt, 17 weitere beschädigt - und das alles noch außerhalb der alliierten Flugsicherungszone. Noch schlechter erging es den insgesamt 33 auf SC 130 angesetzten U-Booten, von denen fünf binnen zwei Tagen zerstört wurden. Dabei ging kein alliiertes Schiff verloren.

Im Laufe des Jahres 1943 nahm die Luftwaffe der Alliierten auch die deutschen Marinestützpunkte verstärkt ins Visier. Die Kriegsmarine musste daraufhin ihre Überwassereinheiten aus diesen Stützpunkten abziehen, wohingegen die U-Boote in ihren Bunkern mit den meterdicken Betondecken weiterhin sicher waren. Allerdings wurden die Ein- und Auslaufwege für die Boote immer gefährlicher, nicht nur wegen der Luftangriffe, sondern auch, weil die Küstengewässer laufend von den Alliierten vermint wurden. Vor allem die Biskaya wurde zu einem regelrechten U-Boot-Friedhof. Sie war von den in Cornwall gelegenen Fliegerstützpunkten des britischen Coastal Command aus leicht erreichbar.

Erfolgreich konnten die Alliierten auch die noch verbliebenen Lücken in der Luftsicherung im Atlantik durch die Errichtung neuer Stützpunkte, so zum Beispiel im Oktober 1943 auf den Azoren, schließen. Ihr Trumpf aber war die Tätigkeit der britischen Kryptoanalytiker im Landsitz Bletchley Park nördlich von London. Diesen war es zwei Jahre zuvor erstmals gelungen, den verschlüsselten deutschen Marinefunkverkehr zu entziffern. Dadurch war es einerseits möglich, die Geleitzüge an den gruppenweise lauernden U-Booten vorbeizuführen, andererseits aber diese Rudel genannten Gruppen zu lokalisieren und gezielt anzugreifen.

Ein Foto für die Propaganda: Admiral Karl Dönitz (Mitte) begrüßt Besatzungsmitglieder eines U-Boots (Wilhelmshaven, März 1940).
© Bundesarchiv, Bild 101II-MW-5564-25 / Wächter / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en) / via Wikimedia Commons

Der Befehlshaber der U-Boote (BdU) und - seit 30. Jänner 1943 - Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Karl Dönitz, versuchte diesen Herausforderungen durch die Steigerung des U-Boot-Baus und die Schaffung einer ausreichenden Luftunterstützung für seine Boote zu begegnen. Dabei sagte ihm Hermann Göring, der Chef der deutschen Luftwaffe, im Februar 1943 seine volle Unterstützung zu. Auch er war der Meinung, dass der U-Boot-Krieg angesichts der militärischen Lageentwicklung die einzige Möglichkeit darstellte, überhaupt noch an einer Front in die Offensive zu gehen.

Mängel der Luftwaffe

Wie eingangs bereits geschildert, befahl Dönitz den U-Booten, in den südlichen Nordatlantik und andere Gebiete auszuweichen, wo sie (noch) außerhalb der Reichweite der feindlichen Flugzeuge waren. Dafür waren hier, in der Weite des Ozeans, die alliierten Geleitzüge umso schwerer zu finden. Daher forderte Dönitz, dass Fernaufklärer der Luftwaffe die U-Boote an die Geleitzüge heranführen sollten. Gleichzeitig sollten Fernzerstörer den Luftraum über dem Einsatzraum der U-Boote freikämpfen, damit diese ungestört ihre Arbeit erledigen konnten.

Eine Focke-Wulf Fw 200 C Condor.
© Walter Frentz / CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) / Deutsches Bundesarchiv / via Wikimedia Commons

Die Luftwaffe verfügte aber über keinen serienreifen Flugzeugtyp, der diese Aufgaben in der geforderten Weise hätte erfüllen können. Die Geleitzugbekämpfung im Nordatlantik spielte sich in einer Entfernung von bis zu 3.500 Kilometern von den Basen ab, welche die Deutschen seit der Besetzung Frankreichs im Jahr 1940 nutzten.

Es gab nur ein Flugzeug, das in größerer Stückzahl zur Verfügung stand und mit dem auch eine entsprechende Reichweite bzw. Eindringtiefe erreicht werden konnte: die Focke-Wulf Fw 200 Condor, bei der es sich um eine für militärische Zwecke adaptierte Verkehrsmaschine handelte. Die Condore unterstanden dem Fliegerführer Atlantik, General Hans-Ulrich Keßler, und wurden als Seeaufklärer und zur Schiffsbekämpfung eingesetzt.

Sie stellten ein Provisorium dar und fungierten quasi als Platzhalter für die als Langstreckenbomber konzipierte Heinkel He 177 Greif. Diese Maschine sollte den U-Booten im Atlantik die geforderte Unterstützung leisten. Ihre Einsatzreife verzögerte sich aber wegen anhaltender Probleme mit den empfindlichen Motoren, die sehr leicht Feuer fingen und der Maschine den Spottnamen "Reichsfeuerzeug" einbrachten, immer weiter.

Immerhin erhöhte sich der Bestand der Condore von neun im Jänner auf 39 bis März 1943. Damit konnten beispielsweise zwischen 9. und 31. März 146 Einsätze geflogen werden, wobei 20 Mal alliierte Geleitzüge gesichtet wurden. Die Ergebnisse der Luftaufklärung wären zweifellos besser ausgefallen, wenn mehr Aufklärungsflugzeuge mit Schiffssuch- bzw. Radargeräten ausgestattet gewesen wären. Deren Produktion ging aber nur sehr langsam voran, sodass selbst Ende 1943 rund 40 Prozent der Suchflugzeuge immer noch nicht mit solchen ausgestattet waren.

Noch schwieriger gestaltete es sich, die U-Boote durch die Luftaufklärung an feindliche Geleitzüge heranzuführen. Zwischen Jänner und Mai 1943 gelang das aufgrund diverser Fehler und Unzulänglichkeiten nur drei Mal, was zur Vernichtung von lediglich zehn alliierten Schiffen führte.

Zur selben Zeit, Anfang Mai 1943, ließ der Fliegerführer Atlantik mit einem Bericht aufhorchen. In diesem gab er an, dass bei einem planmäßigen Einsatz der 113 Kampfflugzeuge, die zusätzlich zu den Condoren in Frankreich stationiert seien, monatlich bis zu 500.000 BRT feindlicher Schiffsraum versenkt werden könnten.

"[E]ine solche (...) Einbuße", so Keßler, würde "jeden Gedanken [der Alliierten] an eine neue" zweite Front "im Keime erstick[en] und (...) auch die englische Industrie aus Mangel an Rohstoffen stilleg[en]." Dass das eine reine Fantasterei war, geht schon daraus hervor, dass die Condore, für die Zahlen vorliegen, zwischen Mai und September 1943 nur zehn Schiffe mit etwas mehr als 73.000 BRT versenkten.

Technisch unterlegen

Erfolglos blieb auch das Experiment, die U-Boote mit zusätzlichen Flakgeschützen zu bestücken, damit sie im Falle eines Angriffs den Überwasserkampf mit den feindlichen Fliegern aufnehmen konnten. U 441, das zum Flak-U-Boot umgerüstet worden war, konnte zwar das Flugzeug, von dem es am 24. Mai 1943 angegriffen wurde, abschießen. Es erlitt dabei aber so starke Beschädigungen, dass es seine Fahrt abbrechen musste. Noch schlimmer verlief die nächste Feindfahrt im Juli, bei der es gleich von mehreren Flugzeugen angegriffen wurde. Zehn Mann der Besatzung wurden getötet und 13 weitere verletzt, unter ihnen bis auf einen alle Offiziere.

Das Boot U 995 war 1943/44 im Nordmeer aktiv – heute liegt es als Museumsschiff im Marine-Ehrenmal in Laboe auf Kiel. 
© CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0) / Darkone / via Wikimedia Commons

Wirkliche Abhilfe hätte nur der forcierte Einsatz neuer U-Boot-Typen schaffen können. Das Prinzip des Schnorchels, des ausfahrbaren Dieselluftmastes, der das Aufladen der Batterien der U-Boote ohne Auftauchen ermöglichte, was ihre Ortung extrem erschwerte, war schon seit 1940 bekannt. Mit der Entwicklung entsprechender U-Boote wurde aber erst im März 1943 begonnen. Auch der Bau einer neuen U-Boot-Klasse mit hoher Unterwassergeschwindigkeit und langer Tauchzeit erfolgte nicht rechtzeitig.

Stattdessen setzte Dönitz weiterhin auf die technologisch völlig unzulänglichen herkömmlichen U-Boote. Sie schickte er weiterhin in großer Zahl gegen einen Gegner, dessen quantitative und qualitative Überlegenheit immer mehr zunahm. Damit trug er dazu bei, dass der Mai 1943 - rückblickend betrachtet - zu einem der Wendepunkte des Zweiten Weltkrieges wurde.

Schwerer aber wog, dass er damit auch verantwortlich für den Tod von mehr als zwei Dritteln der im Krieg eingesetzten deutschen U-Boot-Fahrer war. Die meisten von ihnen starben nach dem Mai 1943.

Gerald Wolf lebt und arbeitet als Historiker und Lehrer in Wien.