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Zeitenwende in der Parteiendemokratie

Von Gottfried Kneifel

Gastkommentare
Gottfried Kneifel war Präsident des Bundesrates und ist Geschäftsführer der Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich.
© ÖVP / Katharina Schiffl

Das Ende von politischer Protektion und Intervention.


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Besonders in Vorwahlzeiten werben Parteien gerne mit Lösungen "für die großen Probleme und die kleinen Sorgen", und Abgeordnete versprechen: "Ich bin immer für Sie da!" Der Wählerschaft wird also Hilfe in allen Lebenslagen in Aussicht gestellt, mit dem Kalkül, Sympathie und eventuell eine zusätzliche Stimme bei der nächsten Wahl zu gewinnen. Da geht es nicht selten darum, ein gutes Wort bei einem Entscheidungsträger einzulegen, wenn ein Posten in einer Gemeinde, Landesverwaltung oder Bundesstelle zu vergeben ist. Oder wenn es um die rasche Erledigung eines Förderaktes, eines Aufschubes von der Einberufung zum Bundesheer, einer Baubewilligung oder eines Pensionsantrages geht.

Kaum einem Intervenienten wird bewusst, dass jeder Eingriff - und wenn es nur ein Anruf beim

zuständigen Referenten oder Abteilungsleiter ist - eine neue Ungerechtigkeit gegenüber jenen Personen schafft, die keine Politikerintervention in Anspruch nehmen können oder eine solche grundsätzlich ablehnen, weil sie sich auf den Verfassungsgrundsatz "Gleiches Recht für alle" verlassen. Bürgerinnen und Bürger, damit konfrontiert, antworten dann oft etwas verärgert mit den Worten: "Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie von der Politik etwas verlangt, und dann heißt es, das geht nicht!" Nur wenige Politiker - gleichgültig welcher demokratischen Ebene - können solchen Worten widerstehen, greifen dann doch zum Handy und erkundigen sich beim zuständigen Referenten nach dem Stand des Verfahrens.

Freilich hat diese Art von Intervention eine lange Vorgeschichte: Nach den leidvollen Erfahrungen der Parteienkonfrontation in der Ersten Republik - Stichwort: Bürgerkrieg 1934 -, des Austrofaschismus, der Ausschaltung des Parlaments und der anschließenden Nazi-Herrschaft samt aller damit verbundener Kriegs- und Vernichtungslager-Erfahrungen kam es nach 1945 zu einem Schulterschluss der beiden großen Parteien ÖVP und SPÖ. Das führte zu einem Parallelslalom der parteipolitischen Einflussbereiche in fast allen Institutionen der Republik. Es folgten große Koalitionen auf Bundesebene und in praktisch allen Ländern und Gemeinden. Sogar in den verstaatlichten Betrieben gab es in den Schlüsselpositionen ÖVP/SPÖ-Doppelbesetzungen. Sicher, diese Zeiten sind vorbei. Die Mentalität, dass Politiker alles und jedes richten können, ist aber noch immer bei der Wählerschaft ebenso feststellbar wie der Lockruf mancher Abgeordneter und Funktionäre: "Kommen sie zu meinem Sprechtag. Ich bin immer für Sie da!"

Ereignisse wie Corona-Pandemie, Krieg mitten in Europa, Klimawandel, Migration, Digitalisierung mit allen Auswüchsen der internationalen Finanzspekulationen, Fairness und Steuergerechtigkeit, Energiesicherheit, Stärkung von Demokratie und Parlamentarismus sollten den Blick auf die wahren politischen Herausforderungen lenken. Be-
schleunigen wird diesen Prozess auch die öffentliche Debatte um die Chats mancher Politiker und Akteure in Ministerbüros. Ich bin überzeugt davon, dass der Umdenkprozess weg von Intervention und Protektion zu den in der Verfassung definierten Funktionen der Politik nicht nur bei den Parteien, sondern auch in weiten Kreisen der Bevölkerung voll eingesetzt hat. Gewinner wäre unsere liberale Demokratie.