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Hamburg - Die Grande Dame des deutschen Journalismus, die aktive Widerstandskämpferin und Mitherausgeberin der Wochenzeitung "Die Zeit", Marion Gräfin Dönhoff ist in der Nacht zum Montag im Kreis ihrer Familie 92-jährig gestorben. Dönhoff war eine herausragende intellektuelle und moralische Instanz in Deutschland, die weit über die Grenzen ihres Landes hinaus wirkte und seit den Sechzigerjahren mit unzähligen Auszeichnungen und Ehrendoktoraten weltweit geehrt wurde. Unter vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie 1971 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1994 den Roosevelt-Freiheitspreis und 1999 den Bruno-Kreisky-Preis für ihr Lebenswerk. Ehrendoktorwürden verliehen ihr u. a. Die New Yorker Columbia-Universität (1982) sowie 1999 die Universitäten Birmingham und Kaliningrad. Zu ihrem 90. Geburtstag vor drei Jahren erhielt sie auch die Ehrenbürgerschaft Hamburgs, wo seit 1946 ihr Lebensmittelpunkt war.
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Marion Gräfin Dönhoff, am 2. Dezember 1909 auf Schloss Friedrichstein bei Königsberg in Ostpreußen geboren, hat nie ein öffentliches Amt bekleidet, auch wenn Willy Brandt sie 1979 als Bundespräsidentschaftskandidatin gewinnen wollte. Sie ging aber jahrzehntelang in vielen Staatskanzleien der Welt aus und ein. Ex-Kanzler Helmut Schmidt - in den letzten Jahren als Mitherausgeber der "Zeit" ein enger Weggefährte - erinnert in seinem Nachruf an die Charakterisierung, mit der der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker Marion Gräfin Dönhoff beschrieb: "Ihre moralischen Grundsätze sind ebenso menschlich wie eindeutig. Ihr politisches Urteil hat den langen Atem der Geschichte. Die Bescheidenheit stammt aus dem alten Preußen, die Bildung aus Europa, der Common Sense aus der Erfahrung in der Welt."
Ihr Vater, August Graf Karl Dönhoff war zeitweilig Abgeordneter zum deutschen Reichstag, ihre Mutter Ria eine Palastdame der Kaiserin Auguste Viktoria. Marion Hedda Ilse war das vierte Kind und wuchs in einer halbfeudalen Umgebung auf. Nach der Reifeprüfung in Potsdam begann sie 1932 ein Volkswirtschaftsstudium in Frankfurt /Main. "Ich wollte einfach mehr begreifen, von den Zusammenhängen, auch für Friedrichstein", begründete sie später ihre Studienwahl. Als die Nazis in Deutschland im Jänner 1933 die Macht übernahmen, versuchte sie, die Hakenkreuzfahne vom Dach der Universität zu entfernen, riss Plakate von den Wänden, auf denen Dozenten als Juden gebrandmarkt wurden und verteilte Anti-Nazi-Flugblätter. Bald wurde sie wegen ihrer Sympathien für die Linke als "rote Gräfin" bezeichnet. Um politischer Verfolgung zu entgehen, setzte sie ihr Studium in Basel fort und promovierte 1935. Danach blieb sie durch längere Reisen, etwa nach Afrika, dem nationalsozialistischen Deutschland fern und kehrte erst 1937 nach Ostpreußen zurück, wo sie, als ihr ältester Bruder Heinrich bei Kriegsbeginn eingezogen wurde, allein die Gutsverwaltung übernahm.
Bis zum Kriegsende führte sie ein Doppelleben als regimetreue Gräfin und Widerstandskämpferin mit engen Verbindungen zu den Männern des 20. Juli 1944. Helmuth James Graf von Moltke, Peter Graf Yorck von Wartenburg und Claus Schenk Graf von Stauffenberg zählten zu ihren engen Freunden. Sie leitete Mitteilungen an Diplomaten in der Schweiz weiter und knüpfte Kontakte. Nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler geriet auch sie kurzfristig in Verdacht, wurde aber nach einem Verhör bei der Gestapo wieder freigelassen. Den Freunden aus dem Widerstand, die ermordet wurden, hielt sie lebenslang die Treue und setzte ihnen mit dem 1994 erschienenen Buch "Um der Ehre Willen. Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli" einen Gedenkstein.
1945 floh sie auf einem Pferd vor den heranrückenden Russen. Im Buch "Namen, die keiner mehr kennt, schilderte sie diese siebenwöchige Flucht.
1946 begann sie als freie Mitarbeiterin bei der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit", der sie bis zu ihrem Lebensende verbunden bleiben sollte. 1955 wurde sie Ressortleiterin für Politik und stellvertretende Chefredakteurin, 1968 Chefredakteurin und 1972 Herausgeberin. Besonders setzte sie sich für die Aussöhnung mit dem Osten ein und als Willy Brandt 1969 Bundeskanzler wurde, schrieb er ihr: "Dass ich meine Ostpolitik jetzt praktizieren kann, dafür haben Sie den Boden vorbereitet". Brandt lud Dönhoff ein, ihn zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages zu begleiten, vor dem Hintergrund der persönlichen Verluste sagte sie damals aber ab. Erst 1989 reiste sie erstmals seit ihrer Flucht wieder nach Kaliningrad, das alte Königsberg.
Mit einer Reihe von gesellschafts- und außenpolitischen Publikationen - darunter "Weil das Land Versöhnung braucht" (1993), "Zivilisiert den Kapitalismus" (1997) und der autobiographischen Schrift "Kindheit in Ostpreußen" (1988) - unterstrich Dönhoff bis zuletzt ihre führende Rolle im deutschen Journalismus. Der unvergleichliche Scharfsinn, die unüberhörbare Stimme der Vernunft, der Demokratie und des Gemeinsinns einer europäischen Patriotin, die Bundeskanzler Gerhard Schröder würdigte, wird nicht nur Deutschland fehlen.