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Zensur durch die Buchhaltung

Von Stefan Voß

Politik

Moskau - Anstelle kritischer Berichte zum Krieg in Tschetschenien mussten sich die Zuschauer des russischen Fernsehsenders TW-6 am Dienstag mit Tennis aus Australien begnügen. Der letzte noch verbliebene unabhängige TV-Sender mit landesweiter Ausstrahlung wurde abgeschaltet. Im dritten Amtsjahr von Präsident Wladimir Putin wird die Meinungsvielfalt immer weiter beschnitten. Der breiten Öffentlichkeit scheint dies mehr oder minder egal zu sein.


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Als vor knapp einem Jahr der bis dahin beliebteste Privatsender NTW unter die Kontrolle des staatsnahen Gasprom-Konzerns gezwungen wurde, gingen noch zehntausende Menschen protestierend auf die Straße. Der Starmoderator Jewgeni Kisseljow, seit Jahren im Fadenkreuz des Kremls, wechselte zum Konkurrenten TW-6 und leitete damit ungewollt auch dessen Untergang ein.

Aus Sicht des Obersten Schiedsgerichts Russlands hat der Mutterkonzern von TW-6 so viel Verlust gemacht, dass der Liquidationsklage des staatsnahen Ölunternehmens und Aktionärs Lukoil stattgegeben wurde. Das Verfahren zielt vor allem gegen den ins Ausland geflohenen Medienmogul Boris Beresowski, den 75-prozentigen Mehrheitseigner bei TW-6.

Der Jurist Putin sorgt sich weniger um die Pressefreiheit als um den Einfluss ungeliebter Wirtschaftsoligarchen. "Diese Leute haben mit Demokratie nichts gemeinsam. Indem sie sich Massenmedien aneignen, verteidigen sie nicht die Freiheit des Wortes, sondern nur ihre eigenen Wirtschaftsinteressen", betonte Putin in der Vorwoche.

Beresowski persönlich hatte vor zweieinhalb Jahren mit Hilfe seiner Medien den bis dahin so gut wie unbekannten Geheimdienstmann Putin zum Nachfolger von Boris Jelzin aufgebaut. Selbst an die Macht gelangt, scheint Putin diesen Karriereweg hinter sich zuschütten zu wollen.

Der Beteuerung Putins, der Staat werde sich nicht in die Angelegenheit um TW-6 einmischen, schenken Kritiker wenig Glauben. In Russland trifft die Justiz nach Einschätzung von Beobachtern kein Urteil von politischer Bedeutung ohne telefonische Anweisung aus dem Kreml.

"Die Angelegenheit des Kanals TW-6 erinnert an die Methoden der Sowjetmacht im Kampf gegen die Oppositionspresse", schrieb die Wochenzeitung "Moskowskije Nowosti" am Dienstag.

Noch vor kurzem hatte Beresowski den Kreml mit der Behauptung geärgert, für die Sprengstoffanschläge auf russische Wohnhäuser 1999 mit Hunderten von Toten sei der eigene Geheimdienst verantwortlich. Der Oligarch wollte "in den nächsten Tagen" Beweise liefern. Auf TW-6 wird dies nicht mehr geschehen.