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Zentralbank reagiert auf das schwache Wachstum

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Leitzins überraschend auf 1,25 Prozent gesenkt - Draghi setzt Anleihenkäufe fort.


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Frankfurt. "Das Szenario ist in den Verträgen nicht vorgesehen." Vier Mal wiederholte Mario Draghi seine Antwort. Die Frage hatte gelautet: Was sagt der neue Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zum möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Der Italiener wehrte sich gegen den Vorwurf eines Journalisten, seine Antwort sei rein formalistisch: "Die Aufgaben dieser Institution sind nun einmal in den Verträgen fest verankert." Die Zentralbank beobachte die griechische Lage genau - im Moment verändere sich diese zu rasch, um Kommentare abzugeben.

Draghi tritt sein Amt mit einer wahren Feuerprobe an. Umso mehr signalisierte der öffentliche Auftritt nach seiner ersten Zinsentscheidung Kontinuität - wie auch der portugiesische EZB-Vize Vítor Constâncio unterstrich, dem das seltene Privileg einer eigenen Wortmeldung zukam. Nicht nur war das Setting der Pressekonferenz unverändert. Bis hin zu Wortwahl und Gesten schien Draghi fast ein Klon seines Vorgängers Jean-Claude Trichet.

Überraschender Zinsschritt

Die formelhafte Notenbanker-Sprache lässt wenig Variation zu - statt des französischen Zungenschlags schwindelt sich nun ein leichter italienischer Akzent in den Text. Inhaltlich konnte Draghi seine auf acht Jahre geplante Präsidentschaft mit einem Paukenschlag eröffnen. Die EZB senkt schon jetzt die Leitzinsen um 0,25 Prozent. Der Grund: Draghi erwartet "schwaches Wachstum, das gegen Jahresende in eine milde Rezession mündet." EZB-Rat Yves Mersch bezifferte die Wahrscheinlichkeit einer Rezession mit über 50 Prozent. Die einstimmige Entscheidung des EZB-Rates kam überraschend. Zuvor hatte es Spekulationen gegeben, dass die EZB erst im Dezember die Zinsen zurückdreht, dann aber gleich um 0,50 Prozent.

Mit niedrigeren Zinsen werden Kredite billiger, was Investitionen der Unternehmen begünstigt und dem Wachstum helfen sollte. Die Börsen reagierten positiv: Der Eurostoxx-Index, der 50 europäische Unternehmen enthält, lag rund 2,5 Prozent im Plus.

Die immer noch erhöhte Inflation bereitet Draghi wenig Kopfzerbrechen: Laut einer Blitzprognose lag diese im Oktober zwar unverändert bei drei Prozent. Die Teuerungsrate werde noch einige Monate lang über der EZB-Zielmarke von knapp 2 Prozent sein, aber 2012 sinken - nicht zuletzt wegen der schwachen Wirtschaft.

Billigere Kredite für Italien

Viel wichtiger ist aber momentan die Frage, wie sich die EZB in der Krise der Eurozone verhält. Sein Vorgänger Trichet wollte die Ankäufe von Staatsschuldpapieren aus den Problemländern der Eurozone so früh wie möglich an den Eurorettungsschirm EFSF abtreten. Obwohl dieser nun bereitstünde, hält Draghi an dem Ankaufsprogramm fest. Dieses bleibe aber "zeitlich begrenzt, im Umfang limitiert und auf geldpolitische Ziele ausgerichtet". Auch Draghi stellte klar, dass die Verantwortung zur Sanierung der Staatsfinanzen die Kernaufgabe der nationalen Wirtschaftspolitik sei - gerade auch in Italien.

Auf die Frage, ob Draghi zur Rettung der Eurozone notfalls alle Schleusen öffnen und die Zentralbank als letzte helfende Instanz aufstellen würde, reagierte dieser mit einer Gegenfrage: "Was bringt Sie zur Annahme, dass das die Probleme lösen würde? Das ist nicht Aufgabe der EZB." Laut Bericht der "Welt" suchen die Franzosen in Cannes die Unterstützung der USA, um die skeptischen Deutschen doch noch zu einer aktiveren Rolle der EZB zu überreden.

So oder so: Italien und Spanien dürfen auf niedrigere Zinsen hoffen. Beim G20-Treffen in Cannes wurde über vorsorgliche Kreditlinien gesprochen, die der ausgeweitete EFSF vergeben darf, hieß es. Die Zusage könnte neue Kredite für diese Länder verbilligen.