Schattenrat mehrheitlich gegen Erhöhung. | Fed-Chef sieht große globale Verluste. | Frankfurt. Notenbank-Chef Jean-Claude Trichet hat seine Auffassung schon kundgetan - wie üblich durch die Blume. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) werde die Lage bei seiner bevorstehenden Sitzung in Frankfurt neu bewerten und "die Risiken einschätzen", sagte der Franzose vor einer Woche.
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In Finanzkreisen wird diese Äußerung des obersten Euro-Hüters als Plädoyer für eine Verschiebung der bisher erwarteten Erhöhung des Leitzinses von vier auf 4,25 Prozent gewertet. Zu Beginn der Finanzmarkt-Krise hatte Trichet noch verkündet, die EZB beobachte die Entwicklung im Euro-Raum "mit großer Wachsamkeit". Diese Formulierung gilt als der Code, mit dem die EZB eine Zinserhöhung zur Dämpfung der Preisspirale in Aussicht stellt.
Für die Beibehaltung des Zinssatzes von vier Prozent haben sich laut Medienberichten mit einer Ausnahme auch die 18 Geldpolitik-Experten im so genannten EZB-Schattenrat ausgesprochen. Die Notenbank soll demnach abwarten, ob die Turbulenzen auf den Finanzmärkten die volkswirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen.
Die Mehrheit in dem Expertengremium möchte, dass die Präsidenten der nationalen Notenbanken für die Zukunft klarstellen, dass sie die weitere Entwicklung völlig offen beobachten. Damit wäre auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, den Zyklus der Leitzinserhöhungen der vergangenen Monate ganz zu beenden.
Kreditkosten weit über dem Leitzins
Die meisten Analysten gehen allerdings davon aus, dass die EZB am Donnerstag ihre Absicht einer Anhebung des Euro-Leitzinses in den kommenden Monaten durchblicken lässt.
Gegenwärtig gibt es gute Argumente dafür, dass hohe Kreditzinsen die Unternehmensinvestitionen und den Konsum beeinträchtigen könnten. Dreimonatsgeld kostete zu Beginn dieser Woche etwa 0,7 Prozentpunkte mehr als der Leitzins von vier Prozent. Diese Spanne signalisiert, dass die Geschäftsbanken ihr Geld kurzfristig nur ungern und zu teuren Konditionen verleihen. Tagesgeld verteuerte sich am Montag auf rund 4,30 Prozent.
Deutsche Bundesbank befürchtet Inflation
Die Zinsen schnellten nach der Ankündigung der EZB nach oben, den Banken in dieser Woche nur noch "etwas" mehr Geld zur Verfügung zu stellen als nötig. Die Währungshüter wollen laut eigenem Bekunden mit sparsamer Zuteilung "die hohen Mindestreserveüberschüsse absorbieren, die sich in den vergangenen Wochen aufgebaut haben".
Allerdings gibt es unter den Experten auch eine Minderheit gewichtiger Befürworter einer Leitzinserhöhung. Der Sturm über den Finanzmärkten ändere nichts an den guten Aussichten für die Weltwirtschaft, schreibt die Deutsche Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht. Auch sie räumt ein, dass die Risiken für die Weltkonjunktur durch die Börsenturbulenzen nach dem Platzen der US-Immobilienblase zugenommen haben.
Sie schätzt jedoch die Perspektiven für die weitere weltwirtschaftliche Entwicklung nach wie vor günstig ein. Die von lebhafter Kreditnachfrage getriebene Zunahme der Geldmenge lasse befürchten, dass die Verbraucherpreise in den nächsten Jahren im Mittel deutlich über die Zwei-Prozent-Marke wachsen - und damit stärker als von der EZB angestrebt. Eine weitere Leitzinserhöhung sei deshalb nötig.
Zinssenkung in den USA?
Die Gegner einer Anhebung können sich allerdings auf die Politik der US-Notenbank Fed berufen. Deren Präsident Ben Bernanke hatte am Wochenende Vermutungen neue Nahrung gegeben, dass die Fed den Dollar-Leitzins beim nächstmöglichen Termin am 18. September von 5,75 auf 5,25 Prozent senkt.
"Falls die gegenwärtigen Bedingungen auf dem Hypothekenmarkt anhalten, könnte die Nachfrage nach Immobilien weiter nachlassen und auch den Rest der Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen", sagte der US-Notenbank-Chef. Nach Auffassung Bernankes haben die globalen Verluste der Hypothekenkrise die schlimmsten Befürchtungen bei weitem übertroffen.
Auch Luigi Buttiglione, Chefvolkswirt des US-amerikanischen Hedge-Fonds Fortress und Mitglied im EZB-Schattenrat, hält die Lage für außerordentlich ernst. "Dies ist nicht einfach eine Liquiditätskrise", sagte er, "das Problem geht viel tiefer und ist durch Liquiditätsspritzen nicht zu lösen."