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Zentrums-Pakt erzürnt Berlusconi

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

Finis Rebellen vermeiden Zerreißprobe mit Berlusconi. | Scharfmacher in der Regierung für sofortige Neuwahlen. | Wien/Rom. Der oppositionelle Misstrauensantrag gegen Justizstaatssekretär Giacomo Caliendo, über den das italienische Abgeordnetenhaus am Mittwochabend abstimmte, machte deutlich, dass weder die Regierung noch die Opposition über eine Mehrheit verfügen.


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Gianfranco Finis neue Parlamentsfraktion Futuro e Liberta (FL - Zukunft und Freiheit) vermied zwar vorerst die Zerreißprobe mit Premier Silvio Berlusconi, machte aber durch ihren Pakt mit der oppositionellen christdemokratischen UDC - die bis 2008 zu den Verbündeten Berlusconis zählte - und zwei weiteren kleinen Zentrumsparteien deutlich, dass das bipolare System nicht für ewige Zeiten festgeschrieben ist.

Fini hatte mit seinem Vorgänger im Amt des Parlamentspräsidenten, Pier Ferdinando Casini von der UDC, und den Chefs der beiden kleineren Zentrumsgruppen API (Alleanza per Italia - Allianz für Italien) und MPA (Movimento per l Autonomia - Bewegung für die Autonomie), Francesco Rutelli und Raffaele Lombardo, die Stimmenthaltung paktiert. Politische Beobachter sehen darin einen ersten Schritt zu einer neuen Zentrumsbewegung, die dem bipolaren italienischen System ein Ende bereiten könnte. Umfragen zufolge könnte eine neue Zentrumspartei auf zehn Prozent der Stimmen zählen und damit zu einem gefährlichen Rivalen für Berlusconi werden.

Finis Fraktion verfügt über 33 Abgeordnete, die UDC über 39. Acht Mandatare stellt die API, eine Abspaltung von der Demokratischen Partei, und fünf die MPA, die bei den Wahlen 2008 zwar mit Berlusconis Partei eine Listenverbindung hatte, ein Jahr später aber aus der Regierungsmehrheit ausschied, weil sie eine Vernachlässigung der Anliegen des Südens beklagte.

Berlusconi in der Krise - Präsident auf Urlaub

Die Scharfmacher in der Regierungspartei PdL (Popolo della Liberta - Volk der Freiheit) - allen voran die beiden aus der früheren Fini-Partei Alleanza Nazionale stammenden Politiker Maurizio Gasparri - derzeit PdL-Fraktionschef im Senat - und Verteidigungsminister Ignazio La Russa hatten Berlusconi fast so weit, sofort Neuwahlen für den kommenden Herbst anzusetzen. Letzten Endes setzte sich aber Gianni Letta, Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, durch, der den Regierungschef vor übereilten Schritten warnte. Staatspräsident Giorgio Napolitano, der unbeeindruckt von den regierungsinternen Querelen am Mittwoch seinen Urlaub auf Stromboli angetreten hat, würde bei vorgezogenen Neuwahlen nicht mitspielen, warnte Letta Berlusconi. Napolitano könnte sich unter Druck gezwungen sehen, eine neue Mehrheit oder einen anderen Premier zu suchen.

Tatsächlich hatte Fini angekündigt, dass seine neue Fraktion weiterhin die Regierung stützen werde. Beim Misstrauensvotum hatten die vier Fini-Anhänger in der Regierung sogar die ausgesprochene Erlaubnis, sich nicht zu enthalten und für den umstrittenen Staatssekretär Caliendo zu stimmen, dem vorgeworfen wird, Mitglied eines geheimen Politkartells zu sein, das illegal Einfluss auf Politik, Justiz und Auftragsvergaben ausüben wollte. Fini rief seine Anhänger auf, die Nerven nicht zu verlieren und den Scharfmachern in der PdL keinen Vorwand zu liefern, Neuwahlen auszuschreiben.

Opposition will Übergangsregierung

Oppositionschef Pier Luigi Bersani sieht im Pakt der Zentrumsparteien eine Alarmglocke für die Regierung Berlusconi, die er möglichst bald gestürzt sehen will. Er spricht sich für die Bildung eines technischen Kabinetts - eventuell unter der Führung des derzeitigen Wirtschaftsministers Giulio Tremonti - aus. Dieses Kabinett sollte ein neues Wahlgesetz verabschieden, das stärkere politische Stabilität und klare Koalitionen garantieren und an der Umsetzung des von der Regierung Berlusconi verabschiedeten Sparprogramms zur Eindämmung der ausufernden Verschuldung arbeiten soll. Dieser Übergangsregierung sollten nach Meinung Bersanis die bisherigen Regierungsparteien Pdl und Lega Nord, aber auch die Demokratische Partei und die gemäßigten Zentrumsparteien angehören.

Die Lega Nord, die nach Berlusconis Bruch mit Fini in der Koalition eine noch stärkere Stellung einnimmt, will aber von einer Übergangsregierung ebensowenig wissen wie von Neuwahlen. Noch in der Vorwoche hatte Lega-Nord-Chef Umberto Bossi entsprechende Journalistenfragen mit einem erhobenen Mittelfinger beantwortet. Auch Tremonti will nach Medienberichten nichts vom Posten des Regierungschefs wissen. Er sei mit dem Amt des Wirtschaftsministers voll ausgelastet, sagte der Minister am Mittwoch in einem Interview.