Seit 1993 gehen Tschechien und die Slowakei getrennte Wege. Beide Länder sind heute politisch stark polarisiert.
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Prag/Bratislava. Der Dichterpräsident musste auch den Schlussakt der Tschechoslowakei zelebrieren: Nachdem Tschechen und Slowaken nach dem Ersten Weltkrieg einen gemeinsamen demokratischen Staat gebildet und nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam den Kommunismus durchlebt und überwunden hatten, entschied man sich am 1. Jänner 1993, vor allem aufgrund des Drängens slowakischer Politiker, für die Trennung. Vaclav Havel war damit der letzte Präsident der Tschechoslowakei und der erste Präsident des demokratischen, unabhängigen Tschechiens.
Sein Gegenspieler war in Tschechien Vaclav Klaus, der bald zum Premier wurde. Havel war ein humanistischer Intellektueller, Klaus ein neoliberaler Ökonom.
Prägender für die Transformation sollte Vaclav Klaus sein, der diese als Premier gestaltete. Es wurde im Eilverfahren privatisiert, wovon ein paar einzelne Geschäftsleute enorm profitierten, und Tschechien war bald viel kapitalistischer als Österreich: Gewerkschaften hatten kaum Einfluss, Arbeitszeiten waren viel weniger geregelt.
Phänomen Meciar
Auf politischer Ebene ähnelte Tschechien in den 1990er Jahren schneller als andere Länder dem Westen. Mit der ODS (Demokratische Bürgerpartei) gab es auf der rechten Seite eine große Partei, mit der CSSD (Sozialdemokraten) eine auf der linken Seite. Sie lösten sich mehr als 20 Jahre lang in verschiedenen Varianten und mit verschiedenen Koalitionspartnern an der Macht ab.
Anders verlief die Entwicklung in der Slowakei. Dort kam es relativ rasch nach der Wende zum kometenhaften Aufstieg Vladimir Meciars, der umstrittensten politischen Figur der jüngeren politischen Geschichte der Slowakei. Nach den Parlamentswahlen 1990 wurde er erstmals Ministerpräsident und konnte sich bis 1998 in der Regierung halten. Zu Beginn hatte er spektakuläre Beliebtheitswerte von bis zu 90 Prozent, später geriet er immer stärker in die Kritik. Der Regierungsstil des ehemaligen Amateurboxers war autokratisch und nationalistisch. Das große Ziel der Slowakei in dieser Zeit - ein Beitritt zur Europäischen Union 2004 - geriet damals in Gefahr.
Auf die Ära Meciar folgte der konservativ-liberale Mikulas Dzurinda, der die Slowakei erfolgreich in die EU führte und mit seiner Wirtschaftspolitik Investoren in das Land holte. Reformen, wie etwa die Einführung einer Flat Tax, wurden später aber wieder zurückgenommen.
Magnet Babis
In Tschechien wiederum haben die beiden einstigen Volksparteien einen großen Absturz erlebt. Die ODS errang bei der letzten Wahl 2017 nur noch elf, die CSSD gar nur sieben Prozent. Grund dafür waren Korruptionsaffären und dass sie den Kontakt zu den Wählern verloren haben. Profiteur dieser Entwicklung war der Milliardär Andrej Babis, der mit seiner als Protestbewegung gegründeten Partei ANO die Macht errang. Präsident ist der einstige Sozialdemokrat Milos Zeman.
Sowohl Babis als auch Zeman ziehen viele ältere Wähler an und sind am Land beliebt, während viele junge, urbane Tschechen sie ablehnen. Diese trugen in der polarisierten Gesellschaft die Massenproteste gegen Babis. der mit Korruptionsaffären konfrontiert war. Rund 250.000 Menschen haeb sich an diesem Samstag im Prag - nicht zufällig genau 30 jahre anch der Samtenen Revolution versammelt, um den Rücktritt des Milliardärs zu fordern. Die Demonstranetn sehen bei Babis einen Interessenkonflikt zwischen seiner Funktion als Politiker und als Unternehmer.
In der Slowakei regiert seit 2006 die Smer-Partei, zunächst von Ex-Premier Robert Fico auch offiziell angeführt. Die ursprünglich als links geltende Fraktion kommt dem Bedürfnis weiter Bevölkerungsteile nach sozialer Absicherung entgegen und hat auch bereits mit rechtsnationalistischen Partnern koaliert. Bei den kommenden Wahlen im Februar wird wieder ein Smer-Sieg vorhergesagt.
Der Unmut gegen die verfilzten und, wie Kritiker sagen, korrupten politischen Strukturen verstärkte sich zuletzt massiv, es kam immer wieder zu Massendemonstrationen in Bratislava. Beobachter sprechen von einer gefährlichen Polarisierung der Gesellschaft. Seit einigen Monaten dürfen Unzufriedene in der Slowakei hoffen. Mit Zuzana Caputova ist eine sozialliberale Politikerin und Ex-Umwelt-Aktivistin zur Präsidentin gewählt worden.(klh/schmoe)