Hohe Inflation und regierungsinternes Kräftemessen: Argentiniens Präsident Fernandez ist amtsmüde.
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Irgendwann in der Nacht ließ der Präsident die politische Bombe platzen. Per Videobotschaft schickte Alberto Fernandez seine Landsleute in Argentinien in einen ungewissen Wahlkampf und ein Wochenende voller Spekulationen: In seiner Nachricht nannte er die beiden wohl wichtigsten Gründe für seine Entscheidung, für eine zweite Amtszeit nicht mehr kandidieren zu wollen: die "niedrigen Einkommen" und "die Armut".
Wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl im Oktober ist damit eine zentrale Personalentscheidung gefallen. Alberto Fernandez war einer der wichtigsten Ansprechpartner für die Europäische Union in Lateinamerika. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz lud ihn als Vertreter der Region zum G7-Gipfel nach Deutschland ein, besuchte ihn in Buenos Aires. Nun muss sich die EU auf andere Personen einstellen. Und bereits mit Brasiliens neuem Moskau-nahen Präsidenten Lula da Silva klappt die Kooperation bislang nicht so wie erhofft.
Fischen im rechten Lager
In Argentinien, wird es mit den neuen Mächtigen, egal wer gewinnt, auch nicht einfacher werden als mit dem schwachen Präsidenten Fernandez. Dieser war in seiner Amtszeit mit einer wachsenden Armutsrate von bis zu 40 Prozent in der Spitze und einer Inflation von über 100 Prozent konfrontiert. Zu viel, um noch einmal einen überzeugenden Wahlkampf führen zu können. Der neue Superminister Sergio Massa, ebenfalls ein potenzieller Präsidentschaftskandidat, hat beim Kampf gegen die Inflation bislang ebenso wenig Erfolge vorweisen können.
Im ohnehin schon polarisierten Land schlagen nun die Emotionen hoch. Der eigentlich eher linke Peronismus fischt inzwischen ganz offen im rechtspopulistischen Lager: "Argentinien den Argentiniern!", rief vor kurzem Maximo Kirchner bei einer Parteiveranstaltung seinen Zuhörern zu. Er ist der Sohn der amtierenden Vizepräsidentin Cristina Fernandez de Kirchner, die das Land von 2007 bis 2015 nach ihrem inzwischen verstorbenen Mann Nestor Kirchner (2003 bis 2007) als Staatschefin regierte.
Cristina Kirchner ist und bleibt eine der zentralen Figuren im Pokerspiel um die Macht. Zwar hatte sie in Folge einer Verurteilung wegen Korruption erklärt, nicht noch einmal antreten zu wollen. Sie und ihre Anhänger sehen sich als Opfer politischer Verfolgung durch die Justiz. Doch in einem Teil des Lagers der Peronisten ist der Wunsch stark, dass Kirchner doch noch einmal nach der Macht greift.
Zwischen Präsident Fernandez und Vizepräsidentin Kirchner gab es einen lähmenden regierungsinternen Machtkampf. Ein weiterer Grund, warum Fernandez nun aufgab.
Marktwirtschaft gegen Armut
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums laufen sich nun die Herausforderer warm. Die größte mediale Beachtung findet dabei der aufstrebende, radikal marktliberale Kandidat Javier Milei, der politisch schwer einzuordnen ist, sich aber selbst als den argentinischen Donald Trump oder Jair Bolsonaro bezeichnet: "Uns verbindet der Kampf gegen den Sozialismus."
Anders als Trump in den USA oder Bolsonaro in Brasilien verfügt Milei, ein Ökonom mit Punk-Attitüde, über wirtschaftswissenschaftliches Fachwissen, mit dem er in Fernsehsendungen die Regierung frontal angreift. Weil er auf eine komplette Liberalisierung des Marktes als Armutsbekämpfung setzt, ist er vor allem bei der seit Jahren unter den Folgen der Inflation leidenden jungen Bevölkerung populär. Die sieht in der von Milei gepredigten freien Marktwirtschaft eine Perspektive für einen Weg aus der ewigen Wirtschaftskrise.
Für Präsident Fernandez hingegen ist Milei "eindeutig eine Bedrohung für die Demokratie". Totalitaristische Machthaber wie Adolf Hitler hätten die Demokratie benutzt, um an die Regierung zu kommen, befand Fernandez. Ins ähnliche Horn stößt Anibal Fernandez, amtierender Sicherheitsminister, der für den Fall eines Wahlsieges der Opposition warnte: "Die Straßen werden mit Blut und Tod übersät sein, wenn sie die Chance hätte, die Regierung zu stellen."
Gute Chancen hat allerdings auch das klassische konservative Lager. Ex-Sicherheitsministerin Patricia Bullrich oder der Bürgermeister von Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta, liegen im internen Rennen um die Präsidentschaftskandidatur vorne. Das Votum über Argentiniens Präsidenten ist für den 22. Oktober angesetzt.