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Zerreißprobe für Medizin-Uni Wien

Von Stefan Melichar

Wissen

"Ausschreibungen sind ein Fehler". | UG 2002: Alte Grabenkämpfe unter neuen Vorzeichen. | Wien. An der Medizinischen Universität Wien (MUW) bahnt sich ein handfester Richtungsstreit an. Im Schatten der nur langsam zu greifen beginnenden Autonomie treten Differenzen über Postenbesetzungen und wissenschaftliche Qualitätssicherung offen zu Tage. Kritiker sprechen von "Hausberufungen", "Seilschaften" und "mafiösen Zuständen". Rektor Wolfgang Schütz weist die Vorwürfe zurück.


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Mit dem Universitätsgesetz 2002 (UG) sind die österreichischen Hochschulen in die Autonomie entlassen worden. - Nicht nur zu deren Glück, wie einige renommierte Mediziner (Namen der Redaktion bekannt) gegenüber der "Wiener Zeitung" zum Ausdruck bringen. Tatsächlich dürften angesichts einer jahrelangen, von Provisorien und Stellvertretungen geprägten Übergangssituation alte akademische Grabenkämpfe mit neuer Intensität wieder aufgenommen worden sein - allerdings unter geänderten Vorzeichen. Durch das neue UG gibt es zwischen ordentlichen und außerordentlichen Professoren keinen formalen Unterschied mehr. Erstere sind früher meist nach aufwendigen internationalen Ausschreibungsverfahren berufen worden und haben ganze Fachbereiche vertreten, zweitere sind für kleinere Spezialgebiete zuständig gewesen und überwiegend aus dem eigenen Nachwuchs gekommen.

"Alte Querköpfe"

Durch die Gleichstellung fühlen sich vormals zu außerordentlichen Professoren bestellte Wissenschaftler in ihrer traditionellen Ablehnung der mächtigen Ordinarien bestärkt: "Wir können nur froh sein, dass wir die alten Querköpfe los sind", erklärt ein sich in hohen universitären Funktionen befindlicher ehemaliger Extraordinarius. Konservative Anschauungen seien mit einer modernen Universität nicht vereinbar.

Anhänger des alten Systems verweisen jedoch auf den Beitrag, den internationale, mitunter Jahre dauernde Berufungsverfahren zur Sicherung der wissenschaftlichen Qualität leisten. Das neue UG sei dagegen ein "Persilschein für Hausberufungen". Friedrich Faulhammer, für Hochschulen zuständiger Sektionschef im Wissenschaftsministerium, bestätigt, dass außerordentliche Professoren tendenziell aus dem "eigenen Bereich" einer Universität kommen. Es sei "rechtlich korrekt", diese etwa zu Vorständen von oder Abteilungsleitern an Universitätskliniken zu bestellen, man könne jedoch darüber diskutieren, ob das sinnvoll sei.

Außerdem gebe es, so Faulhammer, immer wieder Kritik daran, dass das UG 2002 keine Bestimmung enthält, die Hausberufungen verbietet. Es liege aber in der Selbstverantwortung der Universitäten, gute Berufungen durchzuführen. Schließlich würden diese eigenständig über ihre Ausrichtung entscheiden.

Der Kurs der MUW wird in diesem Zusammenhang heftig kritisiert: "Hier werden international übliche akademische Gepflogenheiten über den Haufen geworfen", meint ein Top-Mediziner. Anstelle transparenter Berufungsverfahren würden freiwerdende Positionen kurzerhand durch das Rektorat nachbesetzt.

Übergangssituation

Dies weist Rektor Schütz im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" entschieden von sich. "Alle Positionen werden unmittelbar nach Inkrafttreten des endgültigen Organisationsplanes ausgeschrieben", erklärt Schütz. Dass dieser im klinischen Bereich nun schon Jahre auf sich warten lässt, begründet der Rektor mit den komplizierten Verhandlungen, in die auch die Stadt Wien als für die Universitätskliniken im AKH zuständiger Spitalserhalter eingebunden ist. Laut MUW gibt es Vakanzen an den klinischen Abteilungen für Endokrinologie und Stoffwechsel, allgemeine HNO-Krankheiten, Herz-Thorax-Gefäßchirurgische Anästhesie und Intensivmedizin und pädiatrische Kardiologie. Auch eine Professur für Neurologie werde nachbesetzt werden. Kritiker sehen darüber hinaus Ausschreibungsbedarf in den Bereichen Onkologie, Dermatologie und Radiologie.

Dass in der Zwischenzeit vielfach Stellvertreter und provisorische Leiter, bei deren Bestellung der Rektor ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hat (siehe Kasten), mitunter seit Jahren operativ tätig sind, stört Schütz nicht: "Die Kennzahlen der MUW bei Forschung und Lehre haben sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert."

Kritiker werfen dem Rektorat jedoch vor, wichtige Stellen intransparent, ohne Ansehen der wissenschaftlichen Eignung und nur den Wünschen einer - seit Jahren zusammengewachsenen - Seilschaft gemäß zu besetzen. Tatsächlich ist nach außenhin nicht ersichtlich, ob jemand seine Funktion etwa nur provisorisch ausübt. Der Verdacht liegt nahe, dass hier Fakten für die Zukunft geschaffen werden sollen. Manche in hoher Funktion befindliche Wissenschaftler halten in diesem Zusammenhang mit ihrer Meinung auch gar nicht hinter dem Berg: Ausschreibungen seien ein "Fehler" heißt es gegenüber der "Wiener Zeitung". Es sollten Leute zum Zug kommen, die "ich gerne halten möchte". So ist sich zum Beispiel ein Klinikleiter jetzt schon sicher, seine Position auch im neuen Organisationsplan zu behalten. Er verstehe sich eben "gut mit den Kollegen".

"Universität gespalten"

Das könnte für die Universität vor allem dann zum Problem werden, wenn diese Personen nicht über das entsprechende wissenschaftliche Niveau verfügen. - Ein Vorwurf, den Rektor Schütz bestreitet: "Alle sind kriterienmäßig in Ordnung." Doch auch wenn das Niveau passt, dürfte, so ein Spitzenmediziner, nicht auf internationale Ausschreibungsverfahren verzichtet werden. Wenn der Weg des geringsten Widerstandes beschritten werde, führe das automatisch zu Qualitätsverlusten. Hausberufungen würden jeden "frischen Wind" verhindern.

Die Situation an der MUW beurteilt der Wissenschaftler kritisch: "Die Universität ist in zwei Lager gespalten. Da Leistung nicht gewürdigt wird, sind die, die nicht für diese Seilschaft sind, immer im Nachteil." Nun dürfte es am Rektor liegen, seine Universität wieder zu einen. Die von Schütz angekündigte Ausschreibung von dreizehn Professuren könnte ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein.

UG 2002: Ausschreibungspflicht

Laut Paragraph 107 sind "alle zur Besetzung offen stehenden Stellen vom Rektorat öffentlich auszuschreiben". Das gilt jedoch nicht für Vorstände von Universitätskliniken. Diese werden gewählt, bei Gleichstand entscheidet der Rektor: Paragraph 20 legt fest, dass "zum Leiter einer Organisationseinheit vom Rektorat auf Vorschlag der Universitätsprofessoren der betreffenden Organisationseinheit ein Universitätsprofessor zu bestellen" sei.