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1. Zunächst einige Anmerkungen zu Zerrissenheit und Integration
Kennzeichen unserer Zeit ist eine zunehmende weltweite Integration von bestimmten Austausch- und Wirtschaftsprozessen u n d gleichzeitig eine Tendenz gesellschaftlicher Desintegration in den entwickelten Staaten Europas.
Es ist dies nicht wirklich eine ganz neue Tendenz. Sie findet bloß auf neuem Niveau, unter neuen und anderen institutionellen Rahmenbedingungen statt.
Erlauben Sie mir einen - für den heutigen Zweck und Ort - vielleicht etwas überraschenden Rückblick in jenes Jahr, dessen 150. Wiederkehr wir heuer bedenken können, in das Jahr 1848 und auf die Revolution in der Donaumonarchie.
Das, was heute einfach 1848-er Revolution genannt wird, war ein vielschichtiger Prozeß mit zahlreichen Auslösern, der gerade am Beispiel der Abläufe in Wien besonders gut studierbar und darstellbar ist.
Als Basis des revolutionären Aufstands dienten jedenfalls einerseits die außerordentliche Armut, gepaart mit der schlechten Ernährungslage der Arbeiter rund um Wien, wesentlich mitbedingt durch eine Serie von Mißernten in den Jahren zuvor. Das war gewissermaßen der proletarische Teil der Triebfeder.
Der bürgerliche und stark studentisch mitbestimmte Teil war die Auflehnung gegen das autoritäre Metternich-System und in der Folge die ersten Forderungen nach Freiheit und Demokratie. Die Bekanntgabe der Staatsschulden war schließlich der Auslöser der ersten Proteststürme und der Hintergrund für die ersten Forderungen nach Demokratisierung - hier als Forderung, das Budget müsse demokratischen Entscheidungen zugänglich gemacht werden.
Im weiteren Verlauf der revolutionären Prozesse kam es dann zu einem Zerfall der ursprünglichen Einigkeit der Stände, teils ganz unmittelbar interessengeleitet: Die Forderungen der Arbeiter nach mehr Lohn konnten die Gewerbetreibenden nicht begeistern, die Forderung der Studenten und der Bürgerlichen nach Demokratie konnten den Hunger der Arbeiter nicht stillen. Aber es kam noch ein weiteres hinzu, vor allem im Bereich der Bildungsbürger, der Gewerbetreibenden und der Bauern, das war ein Prozess des Erwachens von nationaler Orientierung.
Und hier hilft u.a. ein Blick über die Grenzen der Donaumonarchie - in die deutschen Fürstentümer - um zu verstehen, was hier, was in der Donaumonarchie passierte, woher der Nationalismus gespeist wurde: Er war bei uns und in den deutschen Landen vor allem eine Reaktion der Wirtschaftstreibenden und der bürgerlichen Intelligenz auf eine erste nachhaltige Phase der Globalisierung der Wirtschaft. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts - in Österreich beginnend mit Maria Theresia - waren die Staaten bemüht, große und nach einheitlichen Regeln arbeitende Verwaltungen und Wirtschaftsräume zu schaffen. Die beginnende Industrialisierung verlangte größere Absatzmärkte, die Beseitigung von Handelsschranken und von - heute würde man sagen - nichttarifarischen Handelshemmnissen. Unser ABGB ist eine Großleistung dieser Art gewesen - ein einheitliches Rechtsregime für die Monarchie zu schaffen un damit einheitliche Handels- und Vermarktungsbedingungen.
In der Donaumonarchie wendet sich der Nationalismus vor allem auch gegen die starke deutschsprachige Zentralverwaltung, gegen die zunehmende Marktöffnung, gegen den zunehmenden und sich verschärfenden Wettbewerb. Es war die emotionale Reaktion auf den aufkommenden Kapitalismus und seine Tendenz der (internationalen) wirtschaftlichen Integration, die Hoffnung - soweit der Nationalismus defensiv orientiert war, wie etwa in der k und k Monarchie - auf die Erhaltung und Sicherung von überblickbaren Räumen, von wärmender Gemeinsamkeit.
Während sich der Nationalismus in den deutschen Nationalstaaten erfolgreich mit der Revolution von Bürgern, Bauern und Arbeitern verbinden konnte, wurde er - aus Sicht des Herrscherhauses - zum willkommenen Instrument der Spaltung der revolutionären Kräfte, vor allem zwischen den Bauern bzw. den Arbeitern der unterschiedlichen Nationen des Vielvölkerstaates. 1848 war der Nationalismus für die Habsburger noch instrumentalisierbar zugunsten des Erhalts der Monarchie und ihrer Herrschaft. Freilich war das eine gefährliche Karte, denn die nationalen Emotionen schliefen nicht mehr ein und wurden schließlich zum Sprengstoff für den Vielvölkerstaat.
Warum der Rückblick, warum das historische Beispiel?
Weil es zeigt, daß Öffnung der Staaten zueinander, daß Öffnung der Märkte hin zu größeren Räumen eine emotionale Basis braucht, ohne die die politisch-gesellschaftliche Integration nicht mehr gelingt. Und es sind in Ermangelung anderer Angebote vor allem einfache Muster, nach denen die Emotionen sich orientieren: die gleiche Sprache, das gleiche Aussehen, usw.
Nationalistische Regression ist die schnelle und einfache Antwort auf Angst vor zu viel Fremdheit, zu viel Unbeschütztheit in groß und unüberblickbar erlebten Räumen, in denen dann auch noch scharfer wirtschaftlicher Wind des Wettbewerbs, vielfach auch des Wettbewerbs unter ganz und gar Ungleichen weht. Die nationalistische Antwort konnte - wie die Geschichte zeigt - durchaus erfolgreich sein, wenn sie zur Schaffung entsprechend einheitlicher Staaten genutzt wurde (vgl. vor allem die Entstehung des deutschen Reichs). Sie konnte jede dynamische Entwicklung behindern, wenn sie zur Eigenbrötelei führte - teils aus Herrschaftsinteresse, teils aus eigenem Antrieb der nationalen Aktivisten (vgl. vor allem die Entwicklung der Donaumonarchie bis zum 1. Weltkrieg).
Es gibt freilich auch noch etwas komplexere Antworten auf die Verunsicherung, die den Prozess der immer weiträumigeren wirtschaftlichen Integration, der immer weiträumigeren Öffnung für Wettbewerb, begleitet.
Ich hatte schon letztes Jahr anläßlich der Alpbacher Technologiegespräche Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß es vor allem klarer und eindeutiger Signale für die potentiellen Verlierer im Prozeß der Globalisierung bedarf, um sie zu überzeugen, den Weg mitzugehen.
Im internationalen Vergleich zeigt sich, daß jene Staaten und Wirtschaftsräume am stärksten in größere Einheiten bzw. im Welthandel integriert werden konnten, die ihren Arbeitnehmern im Gegenzug eine gute soziale Absicherung angeboten haben. Oder mit anderen Worten: Der Prozeß der weltwirtschaftlichen Integration, der Öffnung der eigenen Volkswirtschaft ist empirisch umso erfolgreicher, je partnerschaftlicher er organisiert wurde, je mehr zugleich auf die Bedürfnisse der Menschen, die sich vor größer werdenden Räumen fürchten, Rücksicht genommen wurde. Das europäische Modell der sozialen Sicherung kann als der Kaufpreis für die Marktöffnung interpretiert werden. Es war die intelligente Antwort auf die Gefahr politischer Desintegration, politischen Widerstands gegen eine Politik der wirtschaftlichen Integration.
Bis hierher habe ich mich mit der eher defensiven Seite der Entwicklung befaßt und versucht, nochmals deutlich zu machen, daß es Bedingungen gibt, die beachtet sein wollen, soll Politik für weltwirtschaftliche Integration, für Marktöffnung, für Erweiterung etwa auch der Europäischen Union erfolgreich, das heißt Politik mit für die Menschen im Lande sein. Die Ängste wollen ernst genommen werden und sie brauchen eine reale Antwort, sonst drohen die einfachen Reaktionen. Nationalismen aller Art, Abschottung gegen alles Neue und Fremde usw. sind die Alternative.
Jetzt will ich mich auch noch mit der offensive Seite der Herausforderung, vor der wir stehen, befassen:
2. Gesellschaftlicher Fortschritt, die Rolle von Wissenschaft und Technik
Zu den Grundvoraussetzungen für aktives und lustvolles Gestalten des Lebens und der gesellschaftlichen Entwicklung zählt eine entsprechende Erziehung zur Neugier, zum Interesse für andere Menschen und für Neues und Fremdes. Ich kann diesen Gesichtspunkt heute und hier nicht ausführen, zumal mir kein bildungspolitisches Thema gestellt ist. Aber es muß mit aller Deutlichkeit gesagt sein: Nur eine Erziehung und ein Bildungs- und Erziehungswesen, das Lust an der Entdeckung und Fähigkeit der sozialen Integration vermittelt hilft, schafft eine geeignete Grundlage für eine Entwicklung zu gesellschaftlichem Fortschritt, der den Menschen dient.
Gesellschaftlicher Fortschritt ist eine Weiterentwicklung des Zusammenlebens im Interesse a l l e r Mitglieder der Gesellschaft, gesellschaftlicher Fortschritt ist daher definitionsgemäß nichts, das nur einigen wenigen zugute kommen kann. Bereits im Begriff schwingt das Element integrativer Bemühung mit. Ich betone das an dieser Stelle deshalb, weil die Themenstellung der heurigen Technologiegespräche nicht ohne weiteres erkennen läßt, daß Wissenschaft und Technik für sich allein genommen nichts zum gesellschaftlichen Fortschritt beizutragen vermögen. Es bedarf ihrer Einbettung in gesellschaftliche, in politische Zielsetzungen, also etwa hin zu "gesellschaftlichem Fortschritt" in dem von mir skizzierten Sinn.
Wir wollen - und darin weiß ich mich auch mit der Unterrichtsministerin eins - dafür sorgen, daß unsere Kinder, Jugendlichen, unsere jungen Erwachsenen mit Lust auf Entdeckung heranwachsen können. Wir wollen, daß sich bei ihnen Interesse für andere Menschen und deren Entwicklung mit Interesse für das Neue und Fremde und Verständnis für Entwicklung verbindet.
Wissenschaft ist bloß die Zuspitzung dieses neugierigen Interesses am Fremden und am Neuen. Sie braucht Menschen, die bereit sind, sich auf Neues einzulassen, die Lust auf Entdeckung haben, die eine entsprechende und gediegene Bildung erfahren haben und sie braucht einen Rahmen, der Sinn gibt.
Dieser Rahmen ist die Entwicklung der Gesellschaft, in der wir leben, ist das Wohl der Lebewesen, aber insbesondere der Menschen in unserem Land. Für sie lohnt es, Entdeckungen zu machen, Neues zu entwickeln, Fremdes zu entschlüsseln.
Lassen sie mich an einem Eindruck, den ich anläßlich eines Besuchs in Israel gewonnen habe, verdeutlichen, worum es geht: Ich habe vor knapp vier Wochen das Science Museum in Jerusalem besucht. Es ist das ein Museum der Wissenschaft und Technik, in dem junge Naturwissenschafter und Naturwissenschafterinnen Kindern Verständnis für Grundbegriffe, aber durchaus auch für komplexe technische Entwicklungen vermitteln - spielerisch und lustvoll für die Kinder. Das Science Museum arbeitet eng mit der Hebrew University zusammen und es ist für die Studenten der Universität ebenso, wie für zahlreiche Absolventen eine Auszeichnung, in diesem Museum mitzuarbeiten. Weil es darum geht, in die Kinder des Landes zu investieren, weil das die Investition in die Zukunft des Landes ist. Es ist kollektives Pionierbewußtsein am Werk und Orientierung auf Menschen, Kinder. Alles, was man in diesem eindrucksvollen Museum erleben, hören und sehen kann deutet darauf hin: Hier wird an der Zukunft Israels gebaut.
Und das, worum es bei uns geht ist, Menschen zu finden, zu animieren, an der Zukunft Österreichs mitzubauen, an der Zukunft der Menschen und ihres Wohlergehens in Österreich.
Das ist eine zutiefst politische, soziale - und sehr oft eine wissenschaftliche, eine technische Aufgabe und Herausforderung.
Daher noch einmal zurück zum ersten Begriffspaar: Zerrissenheit oder Integration: Das worum es geht ist, klar und deutlich zu machen, daß Wissenschaft und Technik nicht für sich genommen, sondern bloß in ihrer Einbettung auf ein gesamtgesellschaftliches Ziel einen sinnstiftenden Rahmen finden können. Das Ziel lautet nicht "Fortschritt", das Ziel lautet: ein besseres Leben für die Menschen, für alle Menschen eine Lebensgrundlage.
3.Beschäftigung durch Wissenschaft und Technik?
Worum geht es: um befriedigende, dh sinnstiftende und in den Kontakt, mehr noch in die Kooperation mit anderen Menschen eingebettete Arbeit, die überdies ein Einkommen abwirft, das die Lebenshaltung erlaubt.
Was kann Wissenschaft und Technik dazu beitragen?
Zunächst: wissenschaftliches Arbeiten ist vielfach - notwendig für den Erfolg - auf eine Weise organisiert, daß dieses Arbeiten vielen der genannten Kriterien entspricht. Bloß bei der Bezahlung ist's vielfach knapp. Aber Selbstbestimmtheit der Arbeit, Sinnhaftigkeit und Zielorientierung und Kooperation mit anderen Menschen zählt im allgemeinen zu den Merkmalen wissenschaftlicher Arbeit. Ich denke, wir sollten diese Tatsachen nicht gering schätzen und als Denkansatz nehmen für die Weiterentwicklung von "Arbeit" insgesamt.
Doch geht es bei der Themenstellung wohl nicht um die qualitative Frage, sondern um die Frage, welchen Beitrag Wissenschaft und Technik zur Schaffung von Beschäftigung leisten können. Und es ist dies eine etwas merkwürdige Frage, bedenkt man, daß ein zentrales Ziel der technisch orientierten Wissenschaft immerhin die Beseitigung mühseliger und gefährlicher menschlicher (Hand-)Arbeit gewesen ist. Und nun soll das Ziel plötzlich umgekehrt werden?
Das, worum es immer gegangen ist und weiter geht, ist gesellschaftliche Probleme zu lösen. Dazu kann Wissenschaft und Technik einen Beitrag leisten. Und wer wollte behaupten, es wären alle gesellschaftlichen Probleme gelöst?! In dem Umfang, in dem wir - und hier meine ich tatsächlich in erster Linie die Politiker - dafür sorgen, daß diese Probleme angegangen und gelöst werden, wird es auch Beschäftigung im Zusammenhang mit dem Einsatz von Wissenschaft und Technik geben. Es wäre allerdings verfehlt, sich von Wissenschaft und Technik die Lösung der Arbeitslosigkeitsfrage zu erhoffen - oder die Lösung dieser Frage dorthin abzuschieben. Es geht um politische Entscheidungen in Bereichen, in denen der Markt allein keine Lösungen bereit hält!
Zur Reduktion der Arbeitslosigkeit bedarf es einer sinnvolleren Verteilung der Arbeit und Nachfragen nach Arbeitskräften - nicht zuletzt etwa durch zusätzliche staatliche und staatlich ermöglichte oder mitunter sogar begünstigte private Investitionen (denken Sie nur an die Telekomliberalisierung und den ungeheuren Investitionsschub, den sie gebracht hat!), vor allem in die Infrastruktur. Ich gehe dabei von einem sehr weiten Begriff von Infrastruktur aus und schließe Investitionen in Bildungsmaßnahmen mit ein. Es lohnt - auch im rechnerischen volkswirtschaftlichen Sinne - in die Bildung, in die Neugierentwicklung der Menschen zu investieren.
Denn zur Vermeidung von neuer Arbeitslosigkeit brauchen wir jedenfalls Wissenschaft und Technik. Dies gilt in besonderem Maße jetzt, angesichts der Perspektive der Erweiterung der Europäischen Union. Denn die Chancen der arbeitenden bzw Arbeit suchenden Menschen in Österreich liegen im Bereich höchster Qualifikationen der Beschäftigten selbst, aber vor allem auch der Vorbedingungen für Arbeit, für Produktion und Dienstleistung: im Bereich von Wissenschaft und Technik. Und - auch darauf habe ich bereits letztes Jahr hingewiesen - im Bereich des sozial intelligenten Einsatzes der Menschen, die mit Wissenschaft und Technik zum gesellschaftlichen Fortschritt beitragen können und sollen.
4.Schluß
Zerrissenheit oder Integration - gesellschaftlicher Fortschritt und Beschäftigung durch Wissenschaft und Technik?
Integration. Es geht, wie ich zu zeigen versucht habe, um die Integration der Gesellschaft, darum die Gesellschaft nicht auseinanderbrechen zu lassen in Gruppen, die profitieren und solche, die über bleiben. Es geht um "gesellschaftlichen" Fortschritt, das heißt Weiterentwicklung des Zusammenlebens im Interesse aller als Projekt.
In dieses Projekt gilt es auch Wissenschaft und Technik zu integrieren als ein wesentliches Element beim und zum Aufbau Österreichs und Europas. Es geht insoweit auch um die Sinnfrage: es geht um das Projekt des gemeinsamen, friedlichen Lebens in einer schönen Welt, die es zu erhalten gilt.
Und in diesem Projekt fehlt es nicht an Arbeit, die getan werden muß. Es fehlt vielfach an Entscheidung - für genug Möglichkeiten , unternehmerische Initiativen zu entfalten, für Infrastrukturprojekte im Interesse aller, für die sinnvolle Verteilung der Arbeit. Es geht um das Projekt der Entwicklung unserer Gesellschaft, einer Gesellschaft, in der niemand dauerhaft an den Rand gedrängt wird und in der Lust zur gemeinsamen Weiterentwicklung, Partnerschaft und Kooperation die emotionale Grundlage für eine mögliche Hinwendung zu einer offenen und faszinierenden Welt werden.