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Zerschlagt den IS!

Von Thomas Schmidinger

Gastkommentare
Thomas Schmidinger ist Politikwissenschaftler und Lektor an der Universität Wien und der Fachhochschule Vorarlberg sowie Mitbegründer des in der Deradikalisierungsarbeit tätigen Netzwerks Sozialer Zusammenhalt (www.derad.at).

Die internationale Gemeinschaft agiert im Kampf gegen die Dschihadisten zu zögerlich. Nun droht ein neues Massaker an jesidischen Zivilisten.


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Bis heute befinden sich mehr als 3500 jesidische Gefangene aus Sinjar und Umgebung in den Händen des selbsternannten "Islamischen Staates". Etwa 2500 davon sind seit acht Monaten in Tal Afar inhaftiert. Die ehemals mehrheitlich von schiitischen Turkmenen bewohnte Stadt wird heute vom IS beherrscht. Sunnitische Turkmenen haben die schiitischen Turkmenen vertrieben. Die verbliebene Bevölkerung, die sich am Besitz der geflohenen Schiiten bereichern konnte, scheint ganz überwiegend hinter dem IS zu stehen.

Einigen der dort gefangenen Jesiden gelang vergangene Woche die Flucht, was nun zu Maßnahmen gegen die verbliebenen Geiseln geführt hat. Am Sonntagnachmittag wurden alle Gefangenen in einer Schule konzentriert. Laut Augenzeugen aus Tal Afar, die im Kontakt mit Jesiden stehen, wurden mehr als 500 Männer und männliche Jugendliche von den übrigen Gefangenen getrennt. Mädchen wurden ihren Müttern weggenommen. Frauen und kleine Kinder wurden an einem anderen Ort gesammelt.

Ähnlich ging der IS am 15. August 2014 im Dorf Kojo vor, bevor die Männer des Dorfes alle getötet wurden. Die US-Luftwaffe, die damals das Dorf umkreiste und vom Bürgermeister aufgefordert wurde, den Ort zu bombardieren, verweigerte dies aus Rücksicht auf zivile Opfer. Der Bürgermeister versteht dies bis heute nicht. "Ich habe ihnen gesagt, dass die Leute sonst ohnehin umgebracht werden. Aber sie haben sich geweigert zu bombardieren", resümierte er bei einem meiner Besuche in der Region im Jänner.

Auch jetzt warnen Jesiden aus dem Irak akut vor einem neuen Massaker. Mein Freund Mirza Dinnayi, der Vorsitzende des "Jesidischen Hauses" in Irakisch-Kurdistan, hat am Montag einen Hilferuf an die internationale Öffentlichkeit gerichtet: "Wir bitten alle internationalen Kräfte, ihre Verantwortung zu übernehmen, um ein neues Massaker gegen unschuldigen Menschen zu verhindern." Am 15. August 2014 habe man die Dorfbewohner von Kojo im Stich gelassen und dabei zugesehen, wie der IS alle Männer getötet, Frauen und Kinder versklavt habe: "Wenn man jetzt noch einmal zuschaut, wird es wieder 500 Opfer und 2000 Sklaven geben."

Dieses neuerliche Massaker ist nur möglich, weil die internationale Staatengemeinschaft seit bald einem Jahr zögert, den IS mit Bodentruppen anzugreifen. Die rasche Ausbreitung des IS wurde zwar gestoppt. Aber die Front im Norden steht seit Monaten. Tal Afar, der Großteil der Stadt Sinjar, die Ninive-Ebene und Mosul sind weiterhin in der Hand des IS. Ich habe seit Monaten wie ein Wanderprediger darauf hingewiesen, dass es, je später man hier einschreitet, desto schwieriger sein wird, den IS zu besiegen.

Zuletzt hat ein ehemaliger deutscher Rapper in einem IS-Propagandavideo in deutscher Sprache zu Selbstmordanschlägen in Europa aufgerufen. Ob wir es wollen oder nicht: Wir befinden uns im Krieg und sollten den IS dort schlagen, wo er derzeit seine Zentren hat. Je länger wir damit warten, desto mehr Syrer und Iraker werden sterben, und desto schwieriger wird es werden, den IS zu zerschlagen. Europa darf nicht tatenlos zusehen und warten, bis die IS-Massaker auch Europa erreicht haben!