![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Amir Peretz, der Chef der israelischen Gewerkschaften, gab Mittwoch in Tel Aviv die Gründung einer neuen Partei der Arbeiter bekannt. Dies ist die fünfte Parteigründung im Vorfeld der für | 17. Mai anberaumten nationalen Wahlen und eine schmerzliche Entwicklung für die traditionelle Arbeitspartei unter Ehud Barak.
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Amir Peretz ist eine imposante Erscheinung: zwar relativ klein gewachsen, aber mit seinem dunklen Lockenkopf und einem vollen schwarzen Schnurrbart à la Zapata aus allen politischen
Versammlungen schon optisch hervorstechend. Amir Peretz ist ein erfolgreicher Gewerkschafter, der jährlich zumindest einmal einen Generalstreik organisiert und ihn · mit manchmal mehr, manchmal etwas
weniger · aber Erfolg beendet. Amir Peretz ist zudem eine Führungsfigur im sephardischen Spektrum der israelischen Gesellschaft, die sich mehr und mehr gegen die aus Europa stammende aschkenasische
Langzeitführungselite profiliert. Die Histadrut, der israelische Gewerkschaftsbund, kann zwar die Gehälter ihrer Angestellten nicht immer pünktlich bezahlen, weil sie nach Privatisierung der
allgemeinen Krankenversicherung einen deutlichen Mitgliederschwund zu verzeichnen hatte. Bis Anfang der 90er Jahre war die Krankenversicherung an eine Mitgliedschaft in der Histadrut gebunden
gewesen. Die israelischen Gewerkschaften sind dennoch eine kampfbereite und vor allem eine strikt auf soziale Ziele hin ausgerichtete politische Bewegung. Amir Peretz sieht eine Notwendigkeit, daß
die israelischen Arbeitnehmer von einer eigenen Partei in der Knesset vertreten werden. Dies umso mehr vor dem Hintergrund einer jährlichen Inflationsrate von fast 10 Prozent 1998 und zu erwartenden
6 Prozent 1999. Das gesetzlich abgesicherte Mindesteinkommen wird von dieser Inflation aufgefressen. Die Regierung hat in den letzten Jahren außerdem zur Budgetsanierung vor allem soziale
Stützungsmaßnahmen gekürzt und stattdessen Budgetmittel häufig als Zugeständnisse an religiöse Gruppierungen zur Absicherung der Koalition verwendet. Die Arbeitspartei von Ehud Barak, die
traditionsgemäß die Aufgabe der Interessenvertretung der Arbeitnehmer wahrnehmen sollte, ist von politischem Machtstreben beeinflußt und damit stärker zur gesellschaftlichen Mitte hin orientiert.
Barak sucht den Ausgleich mit den religiösen und liberalen Gruppen und hat seine Wahlbewegung für 1999 konsequenterweise umbenannt von "Avodah" (Arbeit) zu "Israel Achat" (Ein Israel). Amir Peretz
nennt seine neue Partei, die nicht nur von der Avodah-Fraktion in der Gewerkschaft unterstützt wird, "Am Echad" (Ein Volk). Barak hat außer mit Peretz noch mit einem weiteren gewerkschaftlichen
Rebellen in seiner Partei zu kämpfen: Chaim Ramon, der die Ausgliederung fast aller Wirtschaftsunternehmen und der Krankenkasse aus der Histadrut Anfang der 90er Jahre in die Wege geleitet hat und
damit auch den Schrumpfungsprozeß in der Gewerkschaftsmitgliederzahl, versucht Barak daran zu hindern, eine Kandidatenliste nach seiner Wahl zusammenzustellen. Auf dieser von Barak gewünschten
Kandidatenliste würden Plätze für außerparteiliche Gruppen reserviert, die im Laufe des Wahlkampfs zu Baraks "Ein Israel"-Bewegung stoßen könnten. David Levys "Gesher"-Partei ist eine davon. Die
Motive für Baraks durchaus autoritär anmutende Parteistrategie liegen im Bestreben, eine möglichst breite Front gegen Netanjahus Likud-Partei in die Schlacht zu führen. Parteien, wie die von Amir
Peretz, sind ein Stachel im Fleisch der traditionellen zionistischen und aschkenasischen Arbeitsparteimitglieder. Amir Peretz neue Partei ist die fünfte, ernstzunehmende Neugründung der
letzten Wochen, neben einer Zentrumspartei vom ehemaligen Likud-Finanzminister Dan Meridor und ehemaligen Likud-Bürgermeister von Tel Aviv, Roni Milo, hat Netanjahus früherer Berater, Avigdor
Liebermann, eine Partei vor allem für russische Einwanderer gegründet, die faschistische Züge aufweist, wie das israelische Politkommentatoren bezeichnen. Menachem Begins Sohn Benny hat die alte, im
rechten Politspektrum anzusiedelnde "Herut"-Partei wiederbelebt, eine Partei, die klar gegen das Oslo-Abkommen und jeglichen Ausgleich mit den Palästinensern auftritt.
Die frühere Generaldirektorin für den Bereich Umwelt im Landwirtschaftsministerium, Nechama Ronen, hat eine Grünpartei gegründet · "Kol Haswiwah" (Stimme der Umwelt) ·, die sich vor allem die
Verbesserung der katastrophalen Umweltsituation des Landes zum Ziel gesetzt hat und sich klar für die Oslo-Verträge ausspricht. Sie tritt damit in Konkurrenz zur bisher einzigen israelischen Partei,
die Umweltfragen in ihrem Parteiprogramm erwähnt hat: "Meretz", die am weitesten säkular und links ausgerichtete Partei von Jossi Sarid, die freilich ebenfalls innerlich zerstritten ist.