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Zerstörung und Rettung unserer Städte durch öffentlichen Verkehr

Von Harald Frey

Gastkommentare
Harald Frey ist seit 2006 am Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien. Tätigkeiten in Lehre, Forschung und Praxis belegen Beiträge und Präsentationen zu den Themen Verkehrs- und Siedlungsplanung. Seine Dissertation ist als Buch mit dem Titel "Krebsgeschwür Konzern" 2011 im Peter Lang Verlag erschienen.

Das Bevölkerungswachstum der Stadt Wien stellt auch das öffentliche Verkehrssystem vor neue Herausforderungen.


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Bis in die 1950er Jahre war der Oberflächenverkehr der Stadt Wien geprägt von öffentlichen Verkehrsmitteln. Die bekannten Bilder mehrerer Straßenbahnlinien rund um die Secession, dem Getreidemarkt oder der 2er-Linie werden heute nicht nur von Liebhabern bewundert, sondern erinnern uns auch an die scheinbar mittlerweile akzeptierte Dominanz des Autoverkehrs im öffentlichen Raum.

Obwohl rund 40 Prozent der Wiener mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV) und insgesamt bereits 73 Prozent im sogenannten Umweltverbund (zu Fuß, mit dem Rad, ÖV) unterwegs sind, begegnet man diesen Fakten in der Planung und verkehrspolitischen Praxis nach wie vor mit unglaublich sturer Gleichgültigkeit. Straßenbahn, Bus und täglich rund eine Million Fahrgäste müssen erst einmal mal die grüne Welle für den Autoverkehr abwarten.

Das Erfolgsrezept lag für viele im U-Bahn-Bau. Gleichzeitig wurden Straßenbahnen an der Oberfläche stillgelegt und oftmals die Flächen in Fahrspuren umgewandelt. Der öffentliche Verkehr hat sich mit dem einseitigen U-Bahn-Bau der Vergangenheit an der Geschwindigkeit des Autoverkehrs orientiert. Die Konkurrenzfähigkeit zum Auto wurde zum Leitdogma, anstelle der Harmonie mit der Stadt und ihren Menschen.

Die Straßenbahn vernetzt die Orte in der Stadt und hat einen entscheidenden Einfluss auf den Charakter des Stadtraums, also auch auf die Wahrnehmung der Stadt durch deren Nutzer und Bewohner. Dieses Netz ist zugleich zentraler Bestandteil des "gefühlten" Verbindungsgeflechts der Stadt und bei der Straßenbahn aufgrund ihrer deutlich kürzeren Stationsabstände viel dichter als bei der U-Bahn, wo der Nutzer den Stadtraum nur punktuell erlebt. Die im Jahr 1989 stillgelegte Straßenbahnlinie 8, die großteils parallel zur heute überlasteten U-Bahn Linie U6 verlief, hatte mehr als doppelt so viele Stationen und damit halb so großen Stationsabstand.

Gerade in jenen Bereichen, wo der öffentliche Verkehr an der Oberfläche parallel zur U-Bahn stillgelegt, umgeleitet oder ausgedünnt wurde, treten Kapazitätsprobleme auf, weil auch für kurze Wege von ein bis zwei Stationen die U-Bahn benützt werden muss. Der Systemteil U-Bahn oder S-Bahn muss jedoch als Ergänzung zum dichten und kurzen Wegenetz gesehen werden, für jene längeren Wege quer durchs Stadtgebiet, die seltener zurückgelegt werden.

Das Bevölkerungswachstum der Stadt Wien stellt auch das öffentliche Verkehrssystem vor neue Herausforderungen. Mehrere Milliarden für eine neue U-Bahn-Linie (U2/U5) im dicht verbauten innerstädtischen Gebiet zu vergraben, wo allein die Grundstückskosten eine akzeptable Haltestellenentfernung beschränken und wo ein dichtes Netz an Bus und Straßenbahn existiert, scheint unter den Kriterien eines sparsamen und effizienten Mitteleinsatzes nicht mehr zeitgemäß.

Um dieses Geld können rund 10 bis 20 (!) neue Straßenbahnlinien - in Abhängigkeit der Finanzierungsaufteilung - gebaut werden, die gerade in den schnell gewachsenen Stadtrandbereichen dringend notwendig wären und gleichzeitig zu einer Aufwertung der Strukturen führen könnten.