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Zeugen eines nationalen Traumas

Von Beppo Beyerl

Politik

Man erspäht sie auf der slowakischen Seite der March, etwa 300 Meter vom Ufer entfernt, aber man findet sie auch zwischen dem mährischen Grenzort Mikulov/Nikolsburg und der österreichisch-tschechischen Staatsgrenze oder längs der grenznahen Straße von Slavonice nach Vratenin: Kleine Bunker, von Erdreich teils zugeschüttet, teils von Pflanzen und Gestrüpp überwuchert.


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Wühlt man sich durch Erdreich und Gestrüpp, kann man sich mühelos dem Eingang nähern. Drinnen gewahrt man die kleinen, seitlich angebrachten Schießscharten, ehe man vom Gefühl der Enge und Eingeschlossenheit überfallen wird. Draußen bei der Weiterfahrt zum nächsten Bunker fällt auf, dass die Stellungen wie an einer imaginären Linie aufgefädelt sind, wobei jeder Bunker stets in Sichtweite des jeweiligen Nachbarn positioniert ist.

Die Bunker wurden natürlich nicht nur östlich der March und in Südmähren, sondern auch an den Grenzen zu Deutschland und Polen errichtet und sollten wie ein Ring fast die gesamte Außengrenze der ersten tschechoslowakischen Republik umschließen. Sie gehörten zum Verteidigungskonzept, für das sich der tschechoslowakische Generalstab 1935/36 entschied. Damit wollte man dem schon angedrohten und in mittelfristiger Zukunft zu erwartenden Überfall durch das Deutsche Reich militärisch begegnen. Die Befestigungen wurden unter Anweisung von französischen Offizieren errichtet - bereits 1925 hatte die tschechoslowakische Republik mit Frankreich ein Militärbündnis geschlossen. Sie ähnelten den Stellungen, die die Franzosen gegen das Deutsche Reich errichtet hatten; bis heute wird ihre Linie oft als tschechische Maginot-Linie bezeichnet.

Natürlich glaubten weder der Generalstab noch der ab 1935 amtierende Präsident Benes, dass mit einem geschlossenen Verteidigungsring die Truppen der Deutschen aufgehalten werden könnten. Der Operationsplan ging davon aus, dass durch die Bunker und die sie verbindenden Schützengräben der Einmarsch der Nazis um drei bis vier Wochen verzögert wird; in dieser Zeit rettet die tschechoslowakische Armee sich und ihre Bestände in die Slowakei. Inzwischen wird auf politischer Ebene das Bündnissystem mit Frankreich und Großbritannien aktiviert. Nach drei, vier Wochen könnten dann die alliierten Heere gemeinsam mit der nun in der Slowakei befindlichen tschechoslowakischen Armee gegen die Truppen des Deutschen Reiches ihre erste Offensive eröffnen.

Der Bau der Bunker - auf tschechisch pechotni sruby (Infanterieblockhaus) - wurde im Jahr 1936 begonnen und in mehreren Bauabschnitten durchgeführt. Auf erhaltenen Fotos erkennt man die vorgelagerten Schützengräben sowie die seitlich angebrachten Schießscharten. Die Deckenstärke betrug meist 200 Zentimeter, die Vorderfront war über 225 Zentimeter stark, zudem war sie durch massive Erdaufhäufungen getarnt.

Nach dem Anschluss Österreichs wurde die Gefahr einer Invasion immer virulenter, da das Deutsche Reich die Tschechoslowakische Republik beinahe umzingelte und von Ostrava im Norden bis Bratislava reichte. Bei der Analyse des Grenzverlaufes erkannte der Generalstab zwei Schwachstellen, die sich aus der topographischen Lage ergaben. Waren die böhmischen Gebiete durch Hügelketten geschützt, so war man einerseits gegen Schlesien, aber vor allem in Südmähren zwischen Znaim und Mikulov weit offen. Schnell wurde der Bau großer Geschützbunker geplant, von den geplanten 54 Objekten kamen jedoch nur 6 zur Ausführung.

Die Geschichte überrollte die Pläne des tschechischen Generalstabes und die Pläne des Präsidenten Edvard Benes. Noch am 23. 9. 1938 veranlasste der Präsident die Generalmobilmachung: Die Bunker und die Schützengräben wurden besetzt, die Grenzen zum Deutschen Reich geschlossen, die Armee verminte Wege und Brücken. Eine Woche danach war alles vorbei: Am 30.9. 1938 wurde das "Münchner Abkommen" unterzeichnet, die Besetzung der mehrheitlich von Deutschen besiedelten Grenzgebiete durch die deutsche Wehrmacht festgelegt. Bereits am 1. Oktober musste die tschechoslowakische Armee die Gebiete räumen und die Bunkerstellungen an die Deutschen übergeben. Der britische Journalist und Zeitzeuge G. E. R. Geyde beschrieb in dem Werk "Als die Bastionen fielen" den Frust der ursprünglich hochmotivierten tschechischen und slowakischen Soldaten und den sofort einsetzenden Terror der Deutschen.

Heute beginnt man auf österreichischer Seite, sich wieder mit den Bunkerbauten auseinander zu setzen. In einem gemeinsamen Projekt mit der Architektur-Fakultät in Brünn beschäftigte sich das Wiener Institut für Industriearchäologie mit der "Kartierung und Inventarisierung von militärischen Objekten im Grenzgebiet zwischen Niederösterreich und Südmähren". Alexandra Jirouta von der TU in Wien ging einen Schritt weiter und plante den Umbau eines Bunkers zu einer Disco: Der Betonklotz wird mit einer Stahl-Glas Konstruktion umgebaut, die Tanzfläche befindet sich vor den Schießscharten, aus denen nunmehr Laserstrahlen hervorschießen, aus der ehemaligen Öffnung für die großen Geschütze wird der Discjockey herausschauen. Und auf der Betondecke wird eine Lounge mit Barbetrieb errichtet. Nunmehr könne "künftigen Generationen beiderseits der Grenze die Möglichkeit zum Kennenlernen und zu grenzüberschreitenden Freundschaften gegeben werden, und das bewusst im Angesicht der schicksalsvollen Geschichte ihrer Vorfahren", so Jirouta.