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Zeugnisse einer Himmelfahrt

Von Von Christoph Irrgeher

Analysen

Mozartwurst und Elite-Kunst: Wie der Salzburgersakrosankt wurde. | Zwischen Bombastik und Weltverbesserung. | Wien/Salzburg. Sensation! Der Erzdiözese Salzburg ist ein Notenbuch zugefallen, das eines, vielleicht sogar zwei bisher unbekannte Klavierstücke des Jahresjubilars enthält. Genauer gesagt: des sechs- bis zehnjährigen Mozarts, wie Forscher nahe legen. Es darf gestaunt werden: Für den heutigen Freitag ist eine Aufführung angesetzt.


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Freilich, ganz so überraschend kommt das nicht. Nach einem "letzten Mozart-Ölbild", das dann doch nur einen Stadtrat zeigte. Und einer "Sinfonia del Signore Wolfgang Mozart", um die es nach der "Uraufführung" verdächtig still wurde. Gewiss, das geschah bereits 2005. Doch im Sog eines Jubiläums, dessen Vollzug sich in blanker Rekapitulation nicht genügt.

Wer Mozart heute huldigt, will wieder-, doch lieber noch neu entdecken, will sein Stück Primärerfahrung von einer Lichtgestalt, zu der sich das Salzburger Genie mehr und mehr verklärt. Nun scheint, Jubeljahr sei Dank, seine Himmelfahrt abgeschlossen: Wolfgang Amadeus Mozart - er ist allgegenwärtig und allmächtig.

"Vom Himmel gefallen"

Dank einer seltsamen Allianz, freilich. Während ein monströses Mozart-Marketing Omnipräsenz suggeriert, wird oberhalb dieses Bodensatzes Omnipotenz gelehrt: So sehr es einem Nikolaus Harnoncourt, dem Mozartjahr-Dirigenten schlechthin, widerstrebt, Musik kulinarisch zu kredenzen - so sehr liefert sein Diktum, der Salzburger Meister sei "direkt vom Himmel gefallen", doch die überhöhte Legitimation für Mozartwurst und Konsorten. Was Harnoncourt, den einzigartig Obsessiven, freilich nicht zum Fleischermeister degradiert. Doch war er es auch, der das letzte Quäntchen zur Gottwerdung des Jubilars lieferte. Durch die Behauptung, jedes Mozart-Werk trüge die Faktur des Genialen.

Ein Postulat, das in Salzburg zum Programm geriet, beherzigte es Peter Ruzicka in seinem letzten Intendanten-Sommer doch nach Kräften. Jahrelang hatte er auf "M22", die Aufführung aller Mozart-Bühnenwerke, zugerüstet, Entdeckungen verheißen.

Milchmädchenrechnung

Dennoch, ein Triumph sollte ihm nicht blühen. Schon aufgrund einer Milchmädchenrechnung: Wer durch Elitäres glänzt, dem stehen Materialschlachten schlecht zu Gesicht. Die nötige Hundertschaft exzellenter Mozartsänger gibt es eben nicht. Geschweige denn jene Regisseure und Dirigenten, die Amadeus-Außenseitern wie der "Zaide" oder der "Gans von Kairo" einen kreativen Schubs ins Zentrum des Opernrepertoires geben könnten. Was blieb: Einige Hochpreis-Ärgernisse, manche Festspiel-Offenbarungen - die ohne Mozart-Monokultur aber ebenso machbar gewesen wären.

So gesehen ein Labsal, dass sich Wien nicht aufs Kompendium kaprizierte. "The Spirit of Mozart" sollte die Stadt umfloren, manches Auftragswerk Wahlverwandtschaft mit Altbekanntem zeigen. Charmante Idee, nur: Eine Schnittmenge zu bilden, wo Klang idiome meilenweit auseinander klaffen - dort der seit jeher eingängige Mozart, da die oft knorrige Moderne -, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Tonsetzer, die sich mit Mozart mischten, wurden von diesem erdrückt. Wer im Alleingang Substanz lieferte, ließ dafür den Jahresregenten vergessen. Ausnahmen wie die Oper "I hate Mozart" waren rar - als Bernhard Lang den Jubilar gekonnt in sein Klang-Geruckel schleuste.

Wer Amadeus war, konnte man im Herbst, bei "New Crowned Hope", dann wirklich vergessen. Peter Sellars war schließlich Intendant des Wiener Mozartjahr-Festivals - und nutzte es weidlich als Weltfriedens-Vehikel, gilt ihm der Genius doch als Aufklärungs-Aktivist. Die Konsequenz? Bereits in Sellars Frühjahrsproduktion ersichtlich: In "Zaide" kämpfte man um Völkerverständigung - wunderbar global besetzt, doch ohne Stimmkultur.

Und so wenig, wie ein Caritas-Chef über Belcanto zu lehren hätte, wusste dieses Festival dann einen Komponisten zu erhellen, von dem da fast kein Ton erklang. Klassenkampf-Pathos auf der Bühne, Lehm in der Ausstellung, afrikanische Stämme im Kino-Schwerpunkt: Sellars Beitrag war, in seiner Weltoffenheit, anrührend inszeniertes Esperanto - doch oft nur unter Beimengung künstlerischer Mittel.

Stille Meriten

Freilich tut man gut daran, nicht nur publicityträchtige Momente zu erinnern: Dass ein Fest an Mozarts Geburtstag tausende Wiener lockte, Opernsänger in Außenbezirks-Schulen begeisterten, Musik in Krankenhäusern gegeben wurde - all das bereicherte unauffällig, ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Und dass die Stadt nun ein saniertes Mozarthaus besitzt, ein paar taugliche neue Werke dazu, kann ja auch kein Fehler sein.

Wer Mozart wirklich näher kam - die üppigen Salzburger oder die bunten Wiener? Nun, Mozart ist tot. Was lebt, ist rettungslos heutig, distanziert. Ebenso wie eine Mozart-Religion, deren Leidenschaft man allerdings brauchen könnte - für beseelte Vielgötterei.