Ungarns Rechtsextreme treten immer selbstbewusster auf. | Slowakische Aktivisten machen gegen Roma mobil. | Gedenkmarsch für Rudolf Hess in Budapest geplant. | Pressburg. Es gärt in Ungarn und der Slowakei. In beiden Ländern verschaffen sich rechte Kräfte immer energischer Gehör. Am vergangenen Samstag versetzte die "Slowakische Gemeinschaft" das ostslowakische Dorf Sarisské Michal´any mit einer Demonstration gegen den "Terror seitens der Roma" in einen Ausnahmezustand. Die Aktion war schon Tage zuvor angekündigt worden, seither lebten die Gemeindebewohner gewissermaßen in verbarrikadierten Häusern. Rund 300 Sympathisanten rechtsextremistischer Gruppierungen nahmen an der Demonstration teil, die von der Polizei mit Hilfe von Wasserwerfern aufgelöst wurde. Marian Kotleba, Kopf der "Slowakischen Gemeinschaft", wurde festgenommen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Am Montag forderte der frühere Innenminister Vladimír Palko, die Kriminalität unter den Roma künftig in einer gesonderten Statistik auszuweisen, damit endlich eine sachliche Diskussion in Gang komme. Erschreckend an den Ereignissen in Sarisské Michal´any sei vor allem, dass die Extremisten massiv von den Dorfbewohnern unterstützt worden seien. Palko liegt mit dieser Einschätzung offenbar richtig: Wegen des Einschreitens der Polizei soll der Bürgermeister nämlich bald abgewählt werden.
In Budapest wiederum wollen am kommenden Samstag Rechtsextremisten zu Ehren des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess aufmarschieren. Ein massiver Polizeieinsatz mit zahlreichen Festnahmen scheint vorprogrammiert. Befürchtet werden außerdem Zusammenstöße mit Vertretern der Humanistischen Bewegung und der Ungarischen Demokratischen Charta, die mit einer Versammlung im Rathauspark unter anderem ein Zeichen gegen die Morde setzen wollen, die seit 2008 offenbar serienmäßig an Roma verübt werden. Jüngstes Opfer war eine 45-Jährige aus dem ostungarischen Kisléta.
US-Bundespolizei hilftungarischen Kollegen
Die Tat fügt sich nahtlos in das Muster, das die Polizei bei ihren Ermittlungen zugrunde legt: Kisléta liegt wie alle anderen Tatorte unweit einer Autoschnellstraße, das Opfer wurde spätabends attackiert und erschossen. Eine hundertköpfige Sonderkommission ist mit den Ermittlungen befasst, die US-Bundespolizei sicherte den ungarischen Kollegen nach dem Mord von Kisléta erneut Amtshilfe zu. Die Ermittler konzentrieren sich inzwischen auf einen Einzeltäter, der Justizminister Tibor Draskovics zufolge nicht zwingend organisierten Rechten zuzurechnen sein muss.
Auch wenn kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Roma-Morden und dem immer lauteren Auftreten von Rechtsextremisten bestehen mag, ist doch eines nicht zu übersehen: Aktionen Rechtsextremer prägen zunehmend das öffentliche Bild in Ungarn. Seit Monaten vergeht kaum ein Wochenende oder Feiertag, an dem Rechtsextreme, vorzugsweise die Ungarische Garde, der paramilitärische Arm des bei den Europawahlen mit einem Stimmanteil von knapp 15 Prozent ziemlich erfolgreichen Jobbik, nicht durch Aufmärsche oder Kundgebungen von sich reden machen würden, die nicht selten mit zahlreichen Festnahmen enden und nur mit erheblichen Polizeiaufgebot unter Kontrolle zu halten sind.
Dabei bündeln sich die Kräfte inzwischen über die Grenzen Mitteleuropas hinweg. Nach Sarisské Michal´any kamen auch ungarische Rechtsextremisten, wenngleich sich die "Slowakische Gemeinschaft" nach eigenen Angaben an einer Aktion tschechischer Rechtsextremisten orientierte.
So unterschiedlich die Slowakei und Ungarn auch sonst sein mögen, lassen sich doch einige Parallelen ausmachen, deretwegen rechtsextremistischen Gruppierungen wohl in nächster Zeit mit deutlichem Zulauf rechnen dürfen. Im Zuge der Wirtschaftskrise sind etwa die Arbeitslosenraten in beiden Ländern längst auf über 10 Prozent hochgeschnellt.
Moderate Nationalegeraten unter Druck
Außerdem scheinen der Exekutive in beiden Ländern im Kampf gegen die Gewalt von rechts die Hände gebunden zu sein. Innenminister Robert Kalinák hatte die Slowakische Gemeinschaft Anfang des Jahres verboten, die Entscheidung wurde aber vor kurzem gerichtlich aufgehoben. In Ungarn formierte sich die "Garde" nach einem gerichtlichen Verbot umgehend neu, wonach sich nach der aktuellen Gesetzeslage erst einmal nichts unternehmen lässt. Die Regierung von Gordon Bajnai agiert aus Sicht vieler Ungarn zudem aus einer Position der Schwäche heraus, weil sie ohnehin nur für ein Jahr angetreten und als Team von Technokraten nicht sonderlich beliebt ist.
Nicht zuletzt blasen die Rechten in Ungarn und in der Slowakei zur Attacke auf bisherige Aushängeschilder eines (gemäßigten) Nationalismus: Marian Kotleba will ausdrücklich den Vorsitzenden der Slowakischen Nationalpartei Ján Slota als Leitfigur ablösen, in Ungarn könnte Jobbik der größten Oppositionspartei Fidesz bei den Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr wichtige Stimmen abnehmen.