Zum Hauptinhalt springen

Ziemlich einzementiert

Von Jan Michael Marchart

Politik

Die Konfliktfelder zwischen SPÖ und ÖVP in Migrationsfragen eskalieren zunehmend.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Wer einen Ratgeber für Konflikte liest, bekommt in der Regel folgende Anweisung: Der Streit muss möglichst sanft verlaufen, man soll immer sachlich bleiben und seinen Standpunkt ohne direkte Kritik vertreten. Laut diesen Ratgebern gehört Streit zum Alltag, Kollegen und Freunde müssen Konflikte austragen, in Beziehungen muss ein Partner dem anderen sagen, ob ihn etwas kränkt.

Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP schaffen es in ihrer jahrzehntelangen Beziehung immer wieder aufs Neue, Konfliktfelder öffentlich eskalieren zu lassen. Beobachten lässt sich das jüngst bei den Reformdebatten zur Migrationskrise, in der sich die Parteien ideologisch verheddert haben und sich dann schwertun, von einmal geäußerten Meinungen abzurücken. Beispiel Mindestsicherung: Die ÖVP beharrt auf einer Senkung. Die SPÖ lehnt ab. Zweites Beispiel: Die SPÖ möchte mit dem Dienstleistungsscheck Flüchtlinge nach drei Monaten im Asylverfahren einfache Arbeiten bis zur Geringfügigkeitsgrenze ermöglichen. Die ÖVP lehnt ab. Immerhin: Dem Vernehmen nach zeichnet sich ein Kompromiss in Richtung Residenzpflicht für Asylberechtigte ab, damit es sie nicht dorthin zieht, wo die Sozialleistungen höher sind.

Koalitionärer Wirrwarr

Drittes Beispiel: die Notverordnung zur Einhaltung der Flüchtlingsobergrenze. Die Regierung hat sich auf eine Obergrenze von 37.500 Asylanträgen geeinigt, die Österreich dieses Jahr annehmen möchte. Aktuell wurden etwas mehr als 24.000 Personen zum Verfahren zugelassen. Seit der politischen Einigung darüber beschäftigt Österreich die Frage, ob das Land mit einem Notstand rechnen muss oder nicht. Die Koalitionsparteien beantworten diese Frage unterschiedlich, und die jeweiligen Ressorts, die das Innenministerium mit relevanten Informationen dafür füttern, erst gar nicht. Die Verordnung muss gut begründet sein, um nicht mit dem EU-Recht zu kollidieren. Das Thema an sich ist hochkompliziert, die politische Debatte macht es noch verwirrender.

Bekannt wurden bisher nur Streitpunkte. Zuletzt drehte sich der Konflikt um die Reihenfolge der Maßnahmen, um die Verordnung entsprechend umsetzen zu können. Im Innenministerium sieht man die geplante Verordnung als Voraussetzung für Verhandlungen über die Flüchtlingsrücknahme mit Ungarn. Kanzler Christian Kern sieht das genau umgekehrt. Dabei müsste er selbst wissen, dass Ungarn eine Vereinbarung dezidiert ablehnt, immerhin konferierte er darüber Ende Juli mit Premier Victor Orbán.

Gezielter Druck

Experten meinen, dass Kerns Idee, die Rückübernahme als Voraussetzung für die Verordnung zu sehen, widersprüchlich sei. Derzeit dürfen Flüchtlinge nach Österreich einreisen. Wird die Zuständigkeit eines anderen EU-Landes festgestellt, wird eine Rückübernahme geprüft. Werden die Menschen innerhalb von sechs Monaten nicht überstellt, werden sie zum Asylverfahren in Österreich zugelassen. Mit der Sonderregelung soll die Einreise an der Grenze gar nicht erst möglich sein. Die SPÖ beharrt auf ihrer Variante. Intern geht man zudem davon aus, dass die Obergrenze nicht erreicht wird, sofern der Türkei-Deal hält.

Kern nannte den 6. September als möglichen Termin, an dem der Entwurf der Verordnung den Ministerrat passieren könnte. Aus SPÖ-Kreisen heißt es, dass es sich um eine gezielte Herausforderung an die ÖVP handle, die seit Wochen möchte, dass die Notverordnung lieber heute als morgen schlagend wird, bis jetzt aber keinen Entwurf vorgelegt hat und die SPÖ öffentlich dafür verantwortlich macht. Die Einigung mit Ungarn klingt nach einer Bedingung, die in von drei Wochen kaum umsetzbar scheint.

Am 2. Oktober befragt zudem Orbán die Ungarn zur EU-Flüchtlingsquote, nach der das Land 2300 Flüchtlinge aufnehmen sollte. Bis dahin scheint ein Rücknahmeabkommen mit Österreich unwahrscheinlich - die Regierung in Budapest wird nicht von ihrer Linie abweichen. Auch SPÖ und ÖVP haben sich in dieser Frage ziemlich einzementiert. Die Notverordnung gibt es zwar noch nicht, aber Sobotka hat schon ein neues Thema. Im "Kurier" dachte er über eine Gesetzesverschärfung nach. So sollen künftig illegal aufhältige Menschen verfolgt werden können.