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Zinserhöhung? Kein Thema

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Der EZB-Rat tagte diesmal in Wien. Der europäische Finanzmarkt wird weiter "amerikanisiert".


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Wien. Eine Zinserhöhung stand beim gestrigen EZB-Rat gar nicht erst auf der Tagesordnung. Die Gouverneure der Euro-Zentralbanken trafen sich nicht in Frankfurt, sondern in Wien - eine Reverenz an das 200-jährige Bestehen der Nationalbank. OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny begrüßte am Vormittag den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, in der Nationalbank.

Mit einigem Wohlgefallen dürften die europäischen Geldpolitiker von dort ins Opec-Hauptquartier am nahegelegenen Donaukanal geblickt haben. Der Ölpreis hat sich zuletzt auf 50 Dollar je Fass fast verdoppelt. Das schiebt die Inflationserwartung nach oben, die sich zuletzt im Euroraum mit minus 0,1 Prozent als Deflation entpuppte. Die EZB strebt ja eine mittelfristige Inflation von zwei Prozent an. Je eher diese Rückkehr zur Normalität erreicht wird, desto eher kann die EZB ihre expansive Geldpolitik beenden und auch wieder an Zinserhöhungen denken. Bis dahin wird aber noch viel Wasser die Donau hinunterfließen.

Anleihen-Käufe

Gestern hat die EZB erst einmal beschlossen, nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Unternehmensanleihen zu kaufen. Am 8. Juni wird damit gestartet. Dadurch wird dieser Anleihemarkt deutlich belebt. Vor allem aber geht die EZB damit den Weg der "Amerikanisierung" des europäischen Finanzmarktes weiter. Denn dahinter steht natürlich die indirekte Aufforderung, die stark kreditgetriebene Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft sozusagen auf den Kapitalmarkt umzulenken. Der Euro, der zuvor bei 1,12 stand, gab unmittelbar danach zum US-Dollar nach.

Auf die Banken kommt dadurch eine erhebliche Veränderung ihres Geschäftsmodells zu. Bisher ist die sogenannte Zinsspanne, also die Differenz zwischen Spar- und Kreditzinsen, wesentliche Einnahmequelle. Wegen der von der EZB verordneten negativen Zinsen ist diese Einnahmequelle im ersten Quartal deutlich zurückgegangen. Die in der EZB beheimatete Aufsicht über die 129 größten Banken Europas will daher Erleichterungen ermöglichen. Mindestkapitalvorschriften könnten künftig auch als Empfehlung ausgesprochen werden. Dadurch würde es den Banken ermöglicht, auch bei geringerer Kapitalquote Dividenden auszuschütten (was sonst verboten ist). Das wiederum würde die Aufnahme von Kapital erleichtern, da Investoren mit einer regelmäßigen Verzinsung ihres Kapitals rechnen können. Banken wie die Unicredit, zu der die Bank Austria gehört, würden davon eindeutig profitieren, so Analysten.

Ebenfalls wieder am Radar der EZB: Griechenland. Griechische Banken bleiben weiterhin von Zentralbank-Geld ausgeschlossen, doch in Wien wurde - ist aus informierten Quellen zu erfahren - darüber beraten, wie weiter vorgegangen wird. Probleme bei den griechischen Banken würden die Regierung in Athen in zusätzliche Kalamitäten stürzen, was wohl auch nicht im Interesse der EU liegt.

Brexit-Szenario

Ebenfalls besprochen wurde in Wien beim Gouverneursrat der EZB, also den jeweiligen Chefs der nationalen Zentralbanken, mögliche Szenarien rund um das Brexit-Referendum am 24. Juni. Sollten sich die Briten für den Austritt aus der EU entscheiden, wird mit einer massiven Abwertung des britischen Pfund gerechnet. Das würde zu tiefroten Furchen in vielen Bank-Bilanzen führen. Vor allem aber geht es um die Londoner City, über die im wesentlichen der Euroanleihen-Handel läuft. Bei einem EU-Austritt wäre es für viele nicht-britische Europäer schwierig, in London zu arbeiten. Berechnungen gehen von mehr als 60.000 Banker aus, die London verlassen müssten.

Auch Briten, die in Frankfurt bei der Europäischen Zentralbank arbeiten, dürften Probleme bekommen, befürchtet die "Financial Times".