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Zinstief verursacht neue Unsicherheit

Von Barbara Ottawa und Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Das Zinsumfeld stellt die alte Ordnung der Finanzwelt auf den Kopf.| EZB-Sitzung in Ljubljana.


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Ljubljana/München. Mario Draghi auf den Spuren von Tito: In dessen ehemaliger Sommerresidenz, dem Schloss Brdo, tritt der Chef der Europäischen Zentralbank am Donnerstag vor die Presse. Einmal im Jahr geht der Gouverneursrat auf Reise - dieses Mal tagt er in Slowenien. Änderungen der Geldpolitik erwarten Experten nicht - eher Aufschluss, wie die EZB ihre zuletzt ausgepackte "Bazooka", das neue unbegrenzte Anleihenkaufprogramm, einzusetzen gedenkt.

Ein Absenken des EZB-Leitzinssatzes unter 0,75 Prozent ist derzeit ebenfalls unwahrscheinlich. Allerdings werden die Zinsen lange auf den Rekordtiefs verharren: Die US-Notenbank Federal Reserve kündigt offen an, dass sie ihren faktischen Nullzins bis Mitte 2015 nicht erhöhen wird.

Die Finanzmärkte müssen sich auf eine "neue Normalität" einstellen, in der alte Regeln außer Kraft sind. Derzeit bewegen nicht wirtschaftliche, sondern (geld)politische Entscheidungen die Märkte - in beide Richtungen. Das macht Entwicklungen schwer vorhersehbar.

Während in der Eurozone die hohen Anleihenzinsen für die Problemländer als Krisenbarometer gelten, haben Investmentprofis andere Sorgen. "Das Problem ist nicht Griechenland, sondern die Negativrendite auf deutsche Staatsanleihen", sagte James Dilworth, Vorstandschef von Allianz Global Investors (AGI) Europe bei einer Konferenz in München. Wer Deutschland Geld borgt, erntet bei kürzeren Laufzeiten derzeit nämlich negative Zinsen, das heißt, er muss etwas draufzahlen.

Schnell da und schnell weg

Gerade in Ländern, wo die Menschen eher Geld sparen, als es sich zu borgen, wirke sich das Niedrigzinsumfeld sehr negativ aus. Viele Investoren sind verunsichert und verfallen in ein Verhalten, das im Jargon "Risk-on/risk-off" genannt wird: Sie nehmen riskante Papiere ins Portfolio, wenn sie positive Nachrichten hören, und treten sofort auf die Bremse, falls die Märkte negative Signale senden. Das sorgt für große Schwankungen und kurzfristige Entscheidungen. "Es gibt immer mehr Unsicherheit - und diese ist Gift, denn anders als Risiko kann man sie nicht einberechnen", sagte Dilworth. Vielen Anlegern sei nicht bewusst, dass der deutsche Staatsanleihenmarkt schwankungsanfälliger sei als der von Schwellenländern, den sie eher meiden. Noch immer hielten viele an alten Kategorien fest, wonach europäische Staatsanleihen "sichere Häfen" seien.

Achtung: Risiko ohne Rendite

Einige Großinvestoren haben dieses Konzept über Bord geworfen: "Es gab auch in der Vergangenheit keine risikolosen Anlageklassen", sagte Constantin Echter von der Bayerischen Versorgungskammer (BVK). Dieser Pensionsfonds für selbständige Berufe wie Ärzte, Anwälte oder Notare verwaltet rund 52 Milliarden Euro und ist Deutschlands größte Versorgungseinrichtung.

Echter betonte, dass sich die Welt neu aufteile: Anstelle von entwickelten Ländern und Schwellenländern unterteilt er sie in Niedrigzins-Anleihen wie jene aus Großbritannien, Deutschland oder den USA und Hochzins-Staatsanleihen aus Argentinien oder Griechenland.

Ratings bieten wenig Orientierung: Einige "Schwellenländer" bekommen noch immer schlechtere Noten als europäische Länder und müssen höhere Zinsen zahlen, obwohl die Fundamentaldaten gleich oder besser sind. Dilworth sieht bei manchen Triple-A-Ländern Asiens sogar ein viel geringeres Ausfallrisiko als bei den USA. "Es gibt derzeit so viele Anlagen mit Rendite-freiem Risiko und man sollte wirklich darauf schauen, für Risiko bezahlt zu werden", sagte der AGI-Chef. Einige Analysten raten deshalb, vermehrt in Hochzinsanleihen mit kurzen Laufzeiten zu investieren.

Denn wenn die Zinsen doch irgendwann steigen, sollte man nicht mit langläufigen Anleihen erwischt werden. Diese verlieren an Wert, wenn höher verzinste Anleihen aufgelegt werden.

Institutionelle Anleger wie Versicherer und Pensionskassen suchen also Alternativen für europäische Staatsanleihen, um jene Rendite zu erwirtschaften, die sie brauchen, um auch in Zukunft Pensionen und Versicherungen ausbezahlen zu können.