Brüssel - Die Erweiterung der EU, die auf dem am Donnerstag beginnenden Gipfel von Kopenhagen formal beschlossen werden soll, ist noch keineswegs fix. Die Vorstellungen der 15 EU-Mitgliedsstaaten und der zehn Kandidatenländer liegen weit auseinander. Insbesondere ist jetzt ungewiss, ob Estland und Malta überhaupt beitreten wollen. Völlig offen ist auch noch, ob die Türkei ein Datum für Beitrittsverhandlungen bekommen wird.
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Die Erwartungen an den Gipfel sind jedenfalls enorm hoch: Denn der Beitritt von zehn weiteren Ländern wäre mit Abstand das größte Projekt der Europäischen Union.
"Es muss einfach gelingen", ist die einhellige Meinung der EU-15. "Kein Staats- oder Regierungschef kann sich ein Scheitern leisten", versichert auch Petra Erler, Kabinettsmitglied von Erweiterungskommissar Günter Verheugen. Allerdings bestehe zwischen den EU-Mitgliedern und den Kandidaten eine Kluft, die exakt 2,4 Mrd. Euro tief ist: Genau um diesen Betrag wurde das ursprünglich 1999 in Berlin ausverhandelte Finanzierungspaket für die Erweiterung vor wenigen Wochen in Brüssel verringert. "Insbesondere die Visegrad-Staaten (Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen) sehen das EU-Angebot nicht als ausreichend an", so Petra Erler. Einige EU-Mitglieder wiederum bewerten das Paket als viel zu teuer. Auch Malta und jüngst auch Estland bereitet der EU Kopfzerbrechen: Es ist nämlich nicht ausgemacht, ob diese Länder einen EU-Beitritt zu den gegebenen Umständen überhaupt wollen.
"Alter" EU-Trick
Es wird also mit Sicherheit ein zähes Ringen werden, bei dem die EU vielleicht sogar zu einem alten Trick greifen wird: So könnte die Uhr in Kopenhagen am letzten Tag der offiziellen Verhandlungen exakt um Mitternacht angehalten und fieberhaft weiterverhandelt werden, um doch noch eine Einigung zu ermöglichen. Denn eine Vertagung wäre ein zu großes Risiko, weil dann "die Luft draußen ist", wie Peter Schwaiger von der EU-Kommission es ausdrückt.
Ein Scheitern wäre "ein verheerendes Signal für Staaten wie Weißrussland oder die Ukraine, in der extreme politische Kräfte die Oberhand gewinnen könnten", befürchtet Verheugen-Mitarbeiterin Erler.
Wieweit eine Erweiterung à la longue gehen kann, ist innerhalb der EU heftig umstritten. Vor allem die Frage, welche Perspektive der Türkei eröffnet werden soll, wird wohl ein spannendes Thema des Gipfels sein. "Sie hat Kandidaten-Status" ist die Antwort, die man am häufigsten hört. "Wir haben zu schnell zugestimmt", heißt es hinter vorgehaltener Hand.
"Auch eine andere Art der Zusammenarbeit" wird oft ventiliert (siehe Gastkommentar rechts). Agrarkommissar Franz Fischler weiß von "einer überwältigenden Anzahl von EU-Mitgliedern, die sich offener gegenüber der Türkei zeigen". Fischler gibt aber zu bedenken, dass man der Türkei erst dann ein Datum für den Beginn von Verhandlungen nennen kann, wenn die politischen Aufnahmekriterien erfüllt sind.
Die Türken selber können eine Aufnahme in die EU kaum noch abwarten: Nach der deutsch-französischen Einigung von vergangener Woche, 2004 über den Beginn von Verhandlungen 2005 zu entscheiden, gab sich Vorsitzende der türkischen Regierungspartei AKP, Recep Tayyip Erdogan, bitter enttäuscht: Er wolle jetzt schon Klarheit über die Zukunft seines Landes.