Zum Hauptinhalt springen

Zitterpartie am Tiber

Von Rainer Mayerhofer

Analysen

Berlusconi stürzte über sein eigenes Wahlrecht. | Prodi wird gute Nerven brauchen. | Die Italiener, die bis in die frühen Morgenstunden des Dienstags vor ihren Fernsehgeräten ausgeharrt haben, haben eine spannende Wahlnacht mit vielen Überraschungen erlebt. Sah es am späten Abend gegen alle Voraussagen so aus als könnte Ministerpräsident Silvio Berlusconi doch noch gewinnen, nachdem ihn die ersten Exit-Polls bereits politisch tot gesagt hatten, so war erst knapp vor drei Uhr klar, dass Romano Prodi eine hauchdünne Stimmenmehrheit im Abgeordnetenhaus erreicht hatte. Durch das umstrittene neue Wahlrecht, das Berlusconi erst im Dezember durchgepeitscht hatte, wird er aber mit einer bequemen Mandatsmehrheit ausgestattet.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In der zweiten Parlamentskammer, im Senat erreichte das Unione-Bündnis erst mit den Stimmen der Auslandsitaliener eine knappe Mehrheit. Die Auslandsitaliener durften heuer zum ersten Mal mitstimmen - dank Berlusconis Wahlrecht, das er eigentlich für sein Wahlbündnis Casa delle Liberta (Haus der Freiheiten) maßgeschneidert hatte. Berlusconi hat mit seiner umstrittenen Wahlreform dafür gesorgt, dass er abgewählt wurde.

Für die Italiener war die Wahlnacht aber auch eine Premiere besonderer Art. Erstmals seit vielen Jahren erschien der sonst allgegenwärtige Regierungschef nicht auf den Bildschirmen. Italiens TV - eine berlusconifreie Zone: Das hätte noch vor zwei Tagen niemand für möglich gehalten. Der Absturz der Berlusconi-Partei Forza Italia, die mehr als fünf Prozent einbüßte, hat dieses Wunder bewirkt. Nur die Tatsache, dass Berlusconis Bündnispartner von der Alleanza Nazionale und der Lega Nord ihre Stimmenanteile von 2001 behaupten konnten und die christdemokratische UCD kräftig zulegte, hielt den Verlust des Berlusconi-Lagers in Grenzen.

Romano Prodi hat - die Stimmen der Auslandsitaliener nicht mitgerechnet - mit einem Vorsprung von 25.224 Wählern die Kammerwahlen gewonnen - bei rund 38 Millionen gültigen Stimmen. Dass er um den Sieg, den ihm die Meinungsforscher seit Monaten in viel höherem Ausmaß prognostiziert hatten, bis weit nach Mitternacht zittern musste, war die Sensation der Wahlnacht.

Den Meinungsforschern entsprach nur das Wahlverhalten der Auslandsitaliener, die Berlusconi eine klare Absage erteilten. Ihren Stimmen hat es Prodi zu verdanken, dass er sich auch im Senat auf eine knappe Mehrheit stützen kann.

Ob diese Mehrheit dafür ausreicht, dass Prodi fünf Jahre lang an der Spitze der italienischen Regierung stehen kann, wird von vielen Beobachtern bezweifelt. Zu unterschiedlich sind Prodis Bündnispartner, die von den beiden kommunistischen Parteien über die Grünen und antiklerikalen Radikalen bis zu christdemokratischen Splittergruppen reichen. Diesen Haufen zusammenzuhalten wird auch für einen Mann vom Format Prodis nicht leicht sein.