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Angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl in Österreich lohnt ein Blick nach Frankreich und Italien. In Frankreich konnte Präsident Emmanuel Macron in der Nationalversammlung einen Wahlsieg einfahren, der aus zwei Perspektiven als historisch einzustufen ist. Zum einen: Seine Partei En Marche wurde auf Anhieb mit 42 Prozent stärkste Partei und hat mit 308 von 577 Sitzen eine bisher noch nie dagewesene absolute Mehrheit im Parlament. Zum Zweiten: Diese Mehrheit hat eine Partei errungen, die davor noch gar nicht existierte, ebenso wie ein großer Teil der Neugewählten keinerlei politisches Amt innehatte. Kein Kommentator ging dabei auf die Parallelen zu Matteo Renzi und dem erst im Jahr 2007 gegründeten Partito Democratico in Italien ein: So errang die relativ junge Partei unter Renzi bei der EU-Wahl 2014 eine starke Mehrheit von 40,8 Prozent.
Welche Erklärungen gibt es für diese spektakulären Ergebnisse? Die naheliegendste sind die Persönlichkeiten der beiden Politiker: jung und fesch, politisch "unverbraucht", zielorientiert und dynamisch. Diese Erklärung hat in einem Zeitalter, in dem TV-gerecht gestylte und trainierte Persönlichkeiten politische Wahlen für sich entscheiden können, zweifellos einiges für sich.
Eine zweite Erklärung lautet: Beide wollten dem weithin angeprangerten Siegeszug des Neoliberalismus, zunehmender Prekarität der Arbeitsverhältnisse, steigenden Ungleichheiten von Einkommen und Vermögen Einhalt gebieten. Diese Erklärung mag vielleicht für die überraschenden, aber letztlich nicht ausreichenden Wahlerfolge der Labour Party unter Jeremy Corbyn in England und von Bernie Sanders in den demokratischen Vorwahlen in den USA zutreffen; in diesen Ländern hat die Ungleichheit signifikant zugenommen, nicht jedoch in Frankreich und Italien.
Für Renzi und Macron erklärt dieses Argument nichts. Vor allem Macron hat vor allem "liberale" Ziele wie die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und ähnliches propagiert. Zwei Strategien hatten jedoch beide gemeinsam: die radikale Abwendung von der bisherigen, ineffizienten Politik und den Kampf gegen Klientelismus und Korruption, ja gegen das ganze etablierte politische System (Renzi sprach sogar von einer "Verschrottung" der alten politischen Klasse).
Beides sind in Frankreich und Italien seit jeher gravierende Probleme; in beiden Ländern wurden von Premierministern abwärts ganze Scharen von Politikern deswegen angeklagt (wenn auch nicht immer verurteilt). Diese Erklärung trifft selbst auf den Wahlsieg von Donald Trump in den USA zu: Auch er verdankte ihn nicht zuletzt seinen Tiraden gegen Hillary Clinton, die er als Paradevertreterin des korrupten Systems in Washington sah (und viele Wähler haben ihm darin offensichtlich zugestimmt).
Ein möglicherweise fataler strategischer Fehler der SPÖ
Im Umkehrschluss trifft diese Erklärung auch auf Deutschland zu, wo sich der Hype um den neuen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz sehr rasch als Strohfeuer entpuppte und Angela Merkel wohl einen weiteren Wahlsieg einfahren wird. Dies hat sie wiederum der Tatsache zu verdanken, dass ihre Politik es bisher vermieden hat, mit problematischen Machenschaften verbunden zu werden; sie weist auch einen hohen Grad an Bedachtsamkeit, Stetigkeit und Effizienz auf, wenn man etwa die wirtschaftlichen Basisdaten betrachtet.
Man kann dies aber auch auf Österreich anwenden. Hier begeht die SPÖ möglicherweise einen fatalen strategischen Fehler, wenn sie sich derzeit - polemisch gesprochen - den Freiheitlichen anbiedert, indem sie Kriterien formuliert, nach denen eine Koalition mit ihnen möglich wäre. Dabei ist dieser Wertekatalog so allgemein und unverbindlich gehalten, dass die FPÖ schon derzeit kaum Probleme damit hätte.
Eine ganz andere, vielleicht erfolgversprechendere Strategie läge darin, mit Vehemenz auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende schwarz-blaue Koalition hinzuweisen und sich als einzige starke, soziale und weltoffene Alternative zu präsentieren. Dies hieße, von vornherein auch die Oppositionsrolle als eine realistische und wichtige Alternative anzusehen. Die SPÖ verfügt auch über einen neuen Parteivorsitzenden, der in vieler Hinsicht Ähnlichkeiten mit den Wahlsiegern in Frankreich und Italien aufweist.
In ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat SPÖ-Chef Christian Kern in dieser Hinsicht allerdings einen starken Konkurrenten. Dennoch gäbe es eine Alternative zur derzeitigen SPÖ-Strategie, bei der die Bürger den Eindruck haben müssen, dass es ihr vor allem darum geht, auch nach der nächsten Wahl wieder in einer Regierung zu sein, noch dazu mit einem politischen Partner, mit dem weit weniger ideologische und programmatische Übereinstimmungen bestehen als mit der ÖVP.
Dass die Zusammenarbeit zweier so unterschiedlicher Parteien erfolgreicher sein sollte als die bisherige jahrzehntelange, zuletzt skandalös zerstrittene Koalition von SPÖ und ÖVP, wird einem politisch interessierten Bürger nur schwer einleuchten. Eine klare politische Eigenposition der SPÖ würde aber auch die Demokratie in Österreich insgesamt beleben und bei der kommenden Nationalratswahl echte Alternativen bieten.