Der UNO-Sicherheitsrat hat das dringliche, aber noch immer schwer fassbare Thema des Schutzes von Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten diskutiert. Die Verantwortung für Verbrechen, die im Zuge von Feindseligkeiten begangen wurden, sollten dabei an der Spitze der Debatte stehen. Die Geschichte zeigt, dass es ohne rechtliche Maßnahmen weder dauerhaften Frieden noch bedeutsame Sicherheit geben kann. Verantwortung ist nicht nur wichtig, um Klagen von Opfern zu beurteilen, sondern dient auch zur Abschreckung zukünftiger Verbrechen. Jedoch wurde während oder nach Konflikten die Verantwortlichkeit allzu oft als verzichtbares Element für Friedensstiftung zurückgewiesen.
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Möglicherweise ist diese Einstellung nirgends so offensichtlich wie in der Demokratischen Republik Kongo, wo ein langwieriger Konflikt Millionen Opfer brachte und sexuelle Gewalt seit vielen Jahren epidemische Ausmaße annimmt. Typisch dafür ist das jüngste Zugeständnis des kongolesischen Informationsministers Lambert Mende, wonach den Behörden das im April 2009 stattgefundene Massaker an mindestens 50 Zivilisten, das die Armee in Shalio im Osten des Landes begangen hatte, bewusst war. Im gleichen Atemzug blieb Mende jedoch dabei, dass die kongolesischen Behörden den Armeeoffizier und früheren Tutsi-Rebellenführer, der den Angriff befohlen haben soll, nicht einsperren wollten. Seine Festnahme könne die fragile Integration dutzender anderer früherer Rebellenführer und Milizen der Armee destabilisieren, deren brutale Aktionen ein permanentes Merkmal des Konfliktes waren.
Als frühere Richterin der Internationalen Strafgerichtshöfe für Ruanda und in Den Haag habe ich hinreichende Beweise dafür gesehen, dass bei der entsetzlichen Verletzung der Menschenrechte Augen zudrücken ein Rezept für Desaster ist. Straflosigkeit ermutigt Täter nur zu weiteren Verbrechen und bestärkt andere zur Nachahmung. Ohne Rechtsanspruch bleiben die Opfer sich selbst überlassen.
Diese Einstellung ist die Verneinung der grundlegenden Auffassung ziviler Unantastbarkeit in Friedens- und Kriegszeiten. Es ermächtigt einen Staat, zwei seiner vorrangigen Pflichten zu missachten: Zivilisten unter allen Umständen zu schützen und bei Verstößen Gerechtigkeit walten zu lassen, ungeachtet der Rolle und Zugehörigkeit der Täter.
Stattdessen scheint die kongolesische Regierung fest entschlossen, die Verantwortung für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen der eigenen Offiziere und Soldaten abzulehnen. Das banale und jeglicher Grundlage entbehrende Argument, dass Gerechtigkeit um des Friedens willen geopfert und Verantwortung ohne Konsequenzen außer Acht gelassen werden kann, scheint sich auch widerspruchslos zu wiederholen.
Dabei hat das Land zahlreiche Menschenrechtsverträge freiwillig unterzeichnet und ratifiziert. Die Regierung ist verpflichtet, Anschuldigungen zu untersuchen und einen überprüfenden Mechanismus festzusetzen, um zu verhindern, dass Täter nicht in den Verwaltungsapparat oder in die Sicherheitskräfte gelangen.
Navi Pillay ist Hohe UNO-Kommissarin für Menschenrechte.