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Zocken, bis die Finger glühen

Von René Freund

Reflexionen

Gamescom und Videoday in Köln: Wie tickt die Jugend? Ein Bericht des mutmaßlich ältesten Besuchers der weltgrößten Messe für Computerspiele.


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Bei der Gamescom drängten sich über 340.000 Besucher auf dem Gelände der Kölner Messe.
© Foto: René Freund

Mein Sohn, nennen wir ihn Jakob, findet seit einiger Zeit gute Rechtschreibung wichtig. Das hat überhaupt nichts mit seinem Deutschlehrer zu tun und noch weniger damit, dass sein Vater Schriftsteller ist. Dieses kleine Wunder ist im weitesten Sinne dem Internet zu verdanken, jenem globalen Medium, in dem sich unsere Kinder bewegen wie die Fische im Wasser.

Ein wenig wie der sprichwörtliche "fish out of water" durfte ich mich nun fühlen, als ich mit Jakob drei Tage in Köln verbrachte, um die Gamescom und nebenher den Videoday der YouTuber zu besuchen. Die Reise, ein Geschenk zum vierzehnten Geburtstag des großgewachsenen Nachwuchses, fühlte sich in den ersten Stunden wie eine große Herausforderung an - aber am Ende hatte ich viel gelernt. Und sogar Spaß gehabt. Dabei spiele ich nicht einmal Karten oder Schach. Ein Computerspiel kommt mir nicht auf den Bildschirm, es interessiert mich einfach nicht.

Als Zombie unterwegs

Da ist die Gamescom natürlich genau das Richtige: Die weltweit größte Veranstaltung für interaktive Spiele und elektronische Unterhaltung. Bei der hoffnungslos ausverkauften Gamescom 2013 drängten sich über 340.000 Besucher auf dem Gelände der Kölner Messe, um die neuesten Computerspiele anzusehen oder zu testen. Das fühlte sich eng an. In Kombination mit dem Lärmpegel, durch den sich die diversen Aussteller zu übertreffen versuchen, entstand in den riesigen Hallen eine Atmosphäre, die ältere Semester schon an den Rand der Panik geraten ließ: Hier rollen die Panzer, da greifen die Zombies an, dort rattert das Maschinengewehr, aber ganz ruhig, es kann nichts passieren. Und während ich so durch die Hallen geschoben wurde, musste ich erkennen: Du bist selbst ein Zombie. Ein Fremdkörper in einer anderen Welt. Gelegentlich traf sich mein Blick mit einem der wenigen Menschen meiner Altersklasse - glücklich schienen die auch nicht zu sein in diesem Fegefeuer der Unterhaltungsindustrie. Die Gamescom gehört eindeutig den Jungen. Und ich war ganz sicher der älteste Besucher. Gefühlt jedenfalls.

So viel in den virtuellen Welten der Spiele auch geschossen wird, die Spieler selbst sind ein friedfertiges Volk. Ich habe auf dem gesamten Messegelände keinen Polizisten gesehen. Die Anweisungen des Ordnungspersonals wurden anstandslos befolgt, und wenn es hieß: bitte warten, so bildeten sich diszipliniert Warteschlangen. Und die konnten durchaus eine gewisse Länge erreichen. Um die neue Version des Spiels Battlefield zu testen, musste man sage und schreibe sechs Stunden anstehen.

So etwas tun nur extreme Computer-Freaks, sogenannte Nerds. Davon konnte man bei der Games-com ein paar sehen: Verpflichtend die Hornbrille und die ungesunde Gesichtsfarbe, wahlweise albernes Bärtchen, schlabberige Hose und fettige Haare. Beispiel für die Aufschrift auf einem Nerd-T-Shirt: "Life is a game but it’s not fair." Warum der typische Gamer-Nerd eher männlich ist, erklärt mir mein Sohn so: "Mädchen spielen deshalb nicht so viel, weil sie ihre Zeit damit vertun, in social media rumzuhängen." Geschlechterklischees 2.0.

Die wahre Sensation der Messe stellte die weltweit erste Vorstellung von zwei Spielkonsolen dar: Die Xbox One des Softwaregiganten Microsoft lieferte sich bereits im Vorfeld ein beinhartes Marketing-Match mit der Playstation 4 der Spiele-Profis von Sony. Und so musste von den jungen Spezialistinnen und Spezialisten die Haptik, die Motorik, die Bildqualität, die Schnelligkeit der Spielkonsolen überprüft werden. Ich sah perfekt vorweggenommene Fußballmatches der WM 2014. Die Fingerfertigkeit der jungen Gamer fand ich beeindruckend, die grafische Auflösung der Spiele sensationell. Das gilt natürlich auch für Motorradrennen, diverse Ralleys oder Kunstflüge, die ich beobachten konnte. Natürlich kann ich aber nicht sagen, ob ich die Xbox One besser finde oder die PS4. Nicht einmal mein Sohn konnte sich entscheiden.

Auch wenn ich an der fröhlichen Gamer-Community zunehmend Gefallen fand, an eines konnte und wollte ich mich denn doch nicht gewöhnen: Der Großteil der vorgestellten neuen Videospiele dreht sich um das Thema Krieg und Gewalt. In den sogenannten Ego-Shooter-Spielen geht es darum zu töten, zu zerstören, zu vernichten. Weiß der Teufel, warum sie Ego-Shooter heißen: Statt ego sum ego shooter - einfach schlechtes Latein?

Ich hatte das mit Jakob schon vorher einmal besprochen. Er sah die Gewaltspiele - die er wegen der Altersgrenze von 18 Jahren offiziell gar nicht spielen darf - sehr pragmatisch: "Wenn alle, die Ego-Shooter spielen, nachher an der Schule Amok liefen, gäbe es längst keine Schüler mehr." Das ist natürlich richtig. Andererseits stimmt es mich nachdenklich, warum diese Freude am Krieg so ungebrochen fortlebt - ausgerechnet in einer Stadt wie Köln, von der nach dem Zweiten Weltkrieg nicht viel mehr als der Dom übrig blieb. Und auch der nur, weil ihn die alliierten Bomber als weithin sichtbare Orientierungshilfe stehen ließen.

Der auf Plakaten in Köln omnipräsente Ego-Shooter Wolfenstein - The New Order spielt bewusst mit der Vergangenheit: Da steht der Held mit blauen Augen, blonden Haaren und kantigem Antlitz zwischen Gebäuden, auf denen rote Fahnen mit einem weißen Kreis und dem schwarzen "W" in Runenschrift hängen. Das Spiel erscheint erst 2014. Laut Wikipedia soll für den deutschen Markt eine Fassung ohne NS-Symbolik programmiert werden. Das könnte schwierig werden, geht es doch darum, den Nazis die Weltherrschaft wieder abzujagen.

Wo führt das hin?

Wenn man, wie unlängst durch die NSA-Enthüllungen, eine Ahnung von der Zusammenarbeit der Internet-Industrie mit diversen Regierungen bekommt, drängt sich eine Frage geradezu auf: In welche Richtung werden hier die kommenden Generationen manipuliert? Das Töten via Joystick (welch eine absurde Verknüpfung von Begriffen) ist für die Gamer das Normalste der Welt. Und die moderne Kriegsführung mit Drohnen, lasergesteuerten Raketen oder anderen ferngelenkten Waffen lässt sich mit einem Computerspiel zumindest vergleichen: Jene, die töten, sehen die Opfer nicht mehr. Empathie lässt sich dann allenfalls in halbwegs familienfreundlichen Spielen wie Sims oder Wii Sports Resort üben.

Direkt erholsam gestaltete sich der Videoday, der zeitgleich mit der Gamescom in der stadthallengroßen Lanxess-Arena stattfand. Dieses Community-Treffen hat mit Computerspielen nur am Rande zu tun. Hier sind vor allem die YouTuber am Werk, also Menschen, die sich auf dem weltgrößten Videoportal der Öffentlichkeit präsentieren. Davon gibt es ziemlich viele: Comedians, Rapper, Hip-Hopper oder Let’s Player, also Leute, die Computerspiele spielen und diese gleichzeitig kommentieren, womit man berühmt werden kann. Fast ausschließlich das weibliche Publikum sprechen Schmink- und Outfit-Tutorials an, etwa Bibis Beauty Palace oder daaruums Lifestyle-Tipps.

Die absoluten Stars der Szene nennen sich Y-Titty. Y und T stehen für das Portal YouTube, das übrigens zum Imperium von Google gehört. Die drei sympathischen jungen Männer Philipp "Phil", Matthias "TC" und Oguz "OG" werden oft als Comedians bezeichnet, aber in diese Schublade passen sie nicht wirklich. Sie parodieren, sie singen, sie schwätzen, sie blödeln, frech, unangepasst, intelligent und originell. Mit 2,1 Millionen Abonnenten und über 420 Millionen Aufrufen sind sie Deutschlands Superstars und gehören auch weltweit zu den Spitzenreitern.

Hunderte Fans standen Schlange, um Autogramme von ihren Idolen zu erhaschen. 2013 war das bisher erfolgreichste Jahr für Y-Titty: Mit dem Song "Der letzte Sommer" wurden sie für den Musikpreis Echo nominiert, ihre neueste Nummer "Halt dein Maul" stieg auf Anhieb auf Platz 5 der deutschen Single-Charts ein - ein einmaliger Erfolg für YouTuber.

Viele andere Stars der Szene wie ApeCrime (660.000 Abonnenten) oder Taddl (210.000 Abonnenten als Meatcake) baden in den Foyers der Lanxess Arena in der Menge, Foto hier, Unterschrift da, Schwätzchen dort. Das sind durchwegs pfiffige und sympathische junge Leute, den Umgang mit Öffentlichkeit zwar gewohnt - aber manchmal doch überrascht von der physischen Präsenz eben dieser Öffentlichkeit. Simon alias ungespielt (226.000 Abonnenten) musste gar von der Security vor seinen Fans gerettet werden. So ganz missfallen dürfte ihm das aber nicht haben, weil er zeitgleich via Twitter und Facebook verlautbarte, wo er sich gerade aufhielt. Immerhin, das YouTuben ist auch ein Geschäft. Die Videoplattform beteiligt die Produzenten erfolgreicher Filmchen an den Werbeeinnahmen, weshalb aus Clicks Geld werden kann.

Während Jakob weiter nach Autogrammen jagt, trinke ich draußen einen Kaffee und sehe dabei zufällig ein Plakat: Ein Auftritt der ukrainischen Pianistin Valentina Lisitsa in der Philharmonie Köln wird da angekündigt. Im Zentrum des Plakats eine Zahl - 55 Millionen YouTube-Clicks, steht da zu lesen. Wie das Beispiel zeigt, spielt bei klassischer Musik und immer mehr auch bei Literatur YouTube bereits eine wichtige Rolle, und es ist anzunehmen, dass Videoportale und soziale Medien die Bedeutung des Feuilletons und seiner Protagonisten weit zurückdrängen werden. Wichtig ist dann nicht mehr die Meinung eines Experten, sondern die Anzahl der Aufrufe. Übrig bleibt die Demokratie der Clicks. Eine Demokratie von Googles Gnaden.

Kultur im Wandel

Kultur ist immer im Wandel, und seit der Digitalisierung wandelt sie sich noch schneller. Ich hatte als "fish out of water" drei Tage lang die Chance, ein bisschen in eine andere Kultur hineinzusehen. Das ist wichtig, um in Kontakt zu bleiben. Es ist auch wichtig, um Kritik üben zu können, denn dazu sollte man zumindest ungefähr wissen, worum es geht. So gesehen bin ich meinem Sohn dankbar, dass ich ihm zum Geburtstag dieses Geschenk gemacht habe.

Ach ja, da war noch die Sache mit der Rechtschreibung: Irgendwann haben die Protagonisten von Y-Titti und ApeCrime sich über die grauenvolle Rechtschreibung diverser Postings und Kommentare im Netz lustig gemacht. Und seitdem gilt in der Community üble Rechtschreibung als absolut unzulässig. Das, soviel lässt sich sagen, hat die Schule nicht geschafft.

René Freund, geb. 1967 in Wien, lebt als Schriftsteller in Grünau im Almtal. Heuer erschien im Wiener Deuticke Verlag sein Roman "Liebe unter Fischen".

Website Gamescom