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Zögern vor der Erweiterung

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Die Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich ist nicht der erste Rückschlag für Europa. Doch es könnte ein folgenschwerer sein. Denn ohne eine klare Zukunftsperspektive wird es noch schwerer fallen, wichtige Entscheidungen zu treffen. So könnten eine Einigung auf das EU-Budget für die Jahre 2007 bis 2013 oder die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit der Türkei wieder in die Ferne rücken.


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Eines war den Französinnen und Franzosen nicht vorzuwerfen: Europa-Müdigkeit. Mit einer Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent beim Referendum über die EU-Verfassung zeigten sie, wie wichtig ihnen das Mitspracherecht war. Doch mit ihrem Votum stellten sie die EU auch vor neue Probleme. Denn nun muss die Union zunächst mit dem Vertrag von Nizza weiterarbeiten. Und dieser wurde schon kurz nach seinem Beschluss vor vier Jahren als unzureichend empfunden - allein schon deswegen, weil Entscheidungen im EU-Ministerrat leicht von einem Land blockiert werden können. Diese Gefahr ist nach der Erweiterung der Union auf 25 Staaten alles andere als verringert.

Dabei muss die EU in den kommenden Monaten weit reichende Entschlüsse fassen. Mit der Ablehnung der EU-Verfassung hat dies zwar nichts zu tun. Die schleppende Ratifizierung könnte allerdings auch den Integrationsprozess verlangsamen. Doch spätestens bis Ende 2006 müssen etwa die Finanzverhandlungen über das EU-Budget für die Jahre 2007 bis 2013 abgeschlossen sein, damit die millionenschweren EU-Förderungen ab 2007 ausbezahlt werden können. Eine Einigung auf die Ausgaben ist weiter nicht in Sicht.

Neue Türkei-Debatte

In die Ferne rücken könnte auch der EU-Beitritt weiterer Staaten. Dies gilt weniger für Bulgarien und Rumänien denn für die Türkei oder die Länder des Westbalkan, denen eine Beitrittsperspektive zugesichert wurde. Doch für spätere Erweiterungen ist eine Änderung der Verträge notwendig. Zwar verweist Ankara - wie schon nach der Bekanntgabe vorgezogener Wahlen in Deutschland - auf den Beschluss, am 3. Oktober Verhandlungen mit der Union zu beginnen. Doch dass ein künftiger EU-Beitritt der Türkei nun verstärkt in den Blickpunkt rückt, kann die Regierung in Ankara nicht verhindern. So erklärte Außenminister Abdullah Gül, der Ausgang des französischen Referendums sorge die Türkei "nicht im Mindesten". Gleichzeitig räumte er ein, dass eine neue Diskussion über die Beitrittsbestrebungen seines Landes ausgelöst werden könnte.

Rumänien wartet ab

Keine ernsthaften Auswirkungen auf ihre Ambitionen sehen auch Bulgarien und Rumänien. Allerdings könnte es für die Institutionen Rumäniens schwieriger werden, die ihnen auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen, meinte Ministerpräsident Calin Popescu-Tariceanu. Sowohl Frankreich als auch Deutschland hätten eine Reihe innenpolitischer Probleme, kommentierte er. Deshalb habe sich die Atmosphäre in Hinblick auf die EU-Erweiterung verschlechtert.

Doch schon zuvor haben einige Abgeordnete des EU-Parlaments massive Bedenken an der Beitrittsreife Rumäniens geäußert. Die ab 2007 geplante Mitgliedschaft des Landes könnte sich um ein Jahr verschieben, sollte Bukarest die erforderlichen Reformen nicht umsetzen.

Belgrad unbesorgt

Belgrad wiederum hofft, dass die Beitrittsbemühungen Serbien-Montenegros anerkannt werden. "Das französische Nein wird für Serbien-Montenegro nichts verändern", gab sich Außenminister Vuk Draskovic überzeugt.

Näher einer Mitgliedschaft in der Union steht da Kroatien. Doch auch Zagreb muss noch Bedingungen erfüllen - wie die "vollständige Zusammenarbeit" mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Die für März geplante Aufnahme von Beitrittsgesprächen ist bereits verschoben worden - wegen Zweifeln an der Kooperation des Landes.