Zum Hauptinhalt springen

Zu arm für eine Insolvenz

Von Petra Tempfer

Politik
© Fotolia/Creativa Images

Nur ein Zehntel der überschuldeten Menschen kann in Privatkonkurs gehen. Der Rest kann sich die Rückzahlungen nicht leisten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Die Zahl der Privatkonkurse ist über Jahre konstant. Sie liegt bei etwa 10.000 jährlich, die Hälfte davon in Wien. Regional gibt es freilich Schwankungen, in Kärnten werden es sogar immer weniger, heißt es von der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldnerberatungen (ASB). Das ist allerdings keine gute Nachricht. Ganz im Gegenteil. "Es zeigt, dass immer weniger Menschen in Privatkonkurs gehen können", sagt ASB-Geschäftsführer Clemens Mitterlehner. Denn von Überschuldung betroffen seien zehnmal so viele Menschen, wie es Privatkonkurse gibt, nämlich rund 101.000. Und es werden laufend mehr.

Es sind vor allem Arbeitslose oder ehemalige Selbständige, die sich hoch verschuldet haben. Zur Verdeutlichung: Im Vorjahr hat die ASB erstmals mehr arbeitslose (41 Prozent) als erwerbstätige (40 Prozent) Klienten beraten, denn die Arbeitslosigkeit steigt. Um vieles geringer ist jedoch der Anteil der Arbeitslosen in Privatinsolvenz, dieser liegt nur bei rund 21 Prozent.

Doppelte Schulden in vier Jahren

Ehemalige Selbständige haben durchschnittlich 175.000 Euro Schulden, bei Privathaushalten sind es etwa 50.000. Die meisten schaffen es nicht, in sieben Jahren die gesetzliche Mindestquote von zehn Prozent ihrer Schulden zu tilgen. Erst dann wären sie von ihren Restschulden befreit, der Exekutor dürfte nicht mehr kommen, und: Mit der Eröffnung des Konkursverfahrens wären die Zinsen gestoppt. Ist dieses nicht möglich, wird die Zukunft jedoch zum Teufelskreis. Die Zinsen laufen weiter, und der Schuldenberg wächst. Alle vier Jahre verdoppeln sich die Schulden.

Die SPÖ fordert daher die Abschaffung der Mindestquote von zehn Prozent. Österreich und Tschechien sind die einzigen EU-Länder, in denen es diese gibt. Die Reform des Privatkonkurses in Österreich sei seit vielen Jahren ein zentrales sozial- und konsumpolitisches Anliegen, heißt es dazu aus dem Sozialministerium. Nun scheint aber wieder Wind in die Sache zu kommen. Minister Alois Stöger habe sich erst vor kurzem im Sozialausschuss für eine Neuregelung ausgesprochen, heißt es auf Nachfrage. Ziel müsse sein, allen Schuldnern die sichere Chance einer Entschuldung zu bieten. Freilich müssten diese ihre Leistungsbereitschaft demonstrieren, etwa, indem sie längere Zeit bis zum Existenzminium abgeschöpft werden. Man müsse aber deren Leistungsfähigkeit - also das Einkommen - berücksichtigen. Mit Mindestquote gehe das nicht.

Die Grünen schlugen vor, im Parlament eine Enquete zu veranstalten, "um dem Thema endlich mehr Raum zu geben", sagt Nationalratsabgeordnete Berivan Aslan. Fünf Parteien stimmten zu - nur die ÖVP nicht. "Das einzige Zugeständnis war, beim nächsten Konsumentenschutz-Ausschuss im Oktober Herrn Universitätsprofessor Kodek einzuladen (Georg Kodek ist Professor für Bürgerliches Recht und Handelsrecht an der WU, Anm.)", sagt Aslan. "Ich halte es für problematisch, wenn eine Partei nicht einmal bereit ist, eine gemeinsame Veranstaltung zu machen."

Die Fronten scheinen verhärtet. Das Wirtschaftsministerium verweist auf die Zuständigkeit des Justizministeriums, wo es heißt, dass eine Reform der Privatinsolvenz im Arbeitsprogramm nicht vorgesehen sei. Diese sei "rechtspolitisch nach wie vor umstritten", weil der Reformbedarf unterschiedlich gesehen werde. Er sei aber grundsätzlich zumindest in Teilbereichen gegeben, heißt es.

Die ASB kann diese Einstellung nicht nachvollziehen. Eine Reform ist in ihren Augen längst überfällig. Sie fordert nicht nur die Abschaffung der Quote, sondern auch eine Reduktion der Verfahrensdauer auf fünf Jahre. "Damit die Betroffenen früher wieder ein aktives Mitglied der Wirtschaftsgesellschaft werden", sagt Mitterlehner. Österreich sei 1995, als es die Möglichkeit der Privatkonkurse gesetzlich verankerte, europaweit Vorreiter gewesen. Heute bilde es aufgrund der Mindestquote mit Tschechien das Schlusslicht.

"Bemüht’s euch"

"Stimmt nicht ganz", sagt dazu Hans-Georg Kantner vom Kreditschutzverband 1870. Bereits vor einem Jahr gab es eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, wonach bei sogenannten Billigkeitsgründen wie Krankheit die Mindestquote auch in Österreich fallen kann. Eine Reform der Privatkonkurse sei daher nicht notwendig. Das derzeitige System sei "ein Signal an alle da draußen: Bemüht’s euch, und es wird belohnt werden". Wer eine Reform wünscht, habe "lieber ein Türl, bei dem du schuldenfrei rausgehst".

"Gläubiger brauchen ja eine gewisse Schutzvorrichtung", ergänzt Gerhard Weinhofer vom Gläubigerschutzverband Creditreform. Denn anders als bei Unternehmen können sie sich bei Privatpersonen aufgrund des Datenschutzes nicht über deren Zahlungsfähigkeit informieren. Vorstellbar wäre höchstens eine Variante, die es seit 2014 in Deutschland gibt: Wer mindestens 35 Prozent der Gläubigerforderungen und die Kosten für Gericht und Insolvenzverwalter bezahlt, ist nach drei Jahren schuldenfrei.

Auch auf EU-Ebene wird seit Jahren für Unternehmer, die als Privatpersonen für Unternehmensschulden haften, nach Lösungen für eine "zweite Chance" gesucht. Die Empfehlung im Rahmen des "Small Business Acts" sieht eine Entschuldung binnen drei Jahren ohne Quote vor. Die Europäische Kommission strebt nun laut Sozialministerium einen legislativen Akt an und führte im Juni eine öffentliche Konsultation durch. Das Ergebnis zeige unter anderem, dass eine breite Mehrheit dafür sei, dieses System auch auf Privatkonkurse auszuweiten.

Beim Privatkonkurs gibt es drei Möglichkeiten, um von seinen Restschulden befreit zu werden:

Der Sanierungsplan muss eine Mindestquote von 20 Prozent, zahlbar längstens binnen fünf Jahren, vorsehen. Den Antrag kann nur der Schuldner selbst bei Gericht stellen.

Der Schuldner bietet seinen Gläubigern einen Zahlungsplan an, also eine gewisse Quote, die er in den nächsten fünf bis maximal sieben Jahren zahlt. Der Zahlungsplan muss genauso wie der Sanierungsplan von der Gläubigermehrheit (samt Kapitalmehrheit) angenommen werden.

Passiert das nicht, kommt der Schuldner ins Abschöpfungsverfahren, für das die Zustimmung der Gläubiger nicht notwendig ist. Es entscheidet allein das Gericht. Der Schuldner verpflichtet sich, für sieben Jahre (bis maximal zehn Jahre) einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Gläubiger müssen danach mindestens zehn Prozent ihrer Forderungen erhalten haben. (www.help.gv.at)

Wissen