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Kanzler Sebastian Kurz und die Visegrad-Staaten demonstrierten vor dem EU-Minigipfel zur Asylpolitik Einigkeit.
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Budapest/Prag/Wien. Es war ein Treffen unter Gleichgesinnten - zumindest bei einem Thema, das die EU-Mitgliedstaaten ansonsten äußerst spaltet. Doch in der Debatte um eine angemessene Reaktion auf die Flüchtlingskrise haben sich die Akzente mittlerweile verlagert, sind frühere Bündnisse gebrochen und neue entstanden. Priorität soll nun der Schutz der EU-Außengrenzen haben; das Ringen um einen Schlüssel zur Verteilung von Asylwerbern hingegen hat keine Erfolge gebracht. Die Einführung eines Quotensystems war vor allem Deutschland ein Anliegen, aber auch Österreich hatte die Idee ursprünglich unterstützt. Widerspruch kam unter anderem aus osteuropäischen Ländern.
In Wien wird nun ebenfalls die Wichtigkeit des Grenzschutzes betont. Als Bundeskanzler Sebastian Kurz nach Budapest reiste, um dort seine Amtskollegen aus der Vierergruppe der sogenannten Visegrad-Staaten zu treffen, wusste er sich also einer Meinung mit den Ministerpräsidenten Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei. Der ungarische Premier Viktor Orban sprach nach der Zusammenkunft gar von einer Achse "Visegrad-Wien".
Kurz wiederholte seine Forderung nach personeller und finanzieller Stärkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex, mit dem Ziel, dass diese die Schlepperei nicht nur beobachten, sondern auch bekämpfen möge. Er unterstrich, über die am 1. Juli beginnende halbjährige österreichische EU-Ratsvorsitz, "den Fokus auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik" legen zu wollen. Gastgeber Viktor Orban fügte hinzu, die EU-Staaten sollten sich in den Fragen der Migration, auf die Punkte konzentrieren, zu denen Einvernehmen möglich sei, nämlich den Schutz der EU-Außengrenzen und Hotspots für Asylsuchende außerhalb der EU. Punkte, die nur Streit brächten, solle man außen vor lassen: "Über eine Verteilung nach Quoten brauchen wir gar nicht zu reden", sagte er. Der slowakische Ministerpräsident Peter Pellegrini brachte es in der Abschlusspressekonferenz auf den Punkt: "Es war konstruktiv und pragmatisch. Wenn sie in Brüssel auch so verhandeln würden wie hier (in Budapest, Anm.), würden dort die Gipfel nicht zwei Tage dauern und man müsste nicht verhandeln bis zum Morgengrauen." Das Treffen der fünf Herren hatte nur aus einem kurzen Mittagessen bestanden - das genügte.
Die Zusammenkunft fand nur vier Tage vor dem Mini-Sondergipfel in Brüssel statt. Nicht mit dabei sind bei diesem Treffen am Sonntag die V4-Staaten, wohl aber Österreich. Dass die V4 diesen Separat-Gipfel misstrauisch beäugt, stellte Orban klar: "Wir fahren nicht hin." Denn "das einzige Forum, das in der Migrationsfrage zuständig ist, ist der Europäische Rat und nicht die Europäische Kommission." Auch Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis murrte: "Wir haben gar nicht erfasst, warum es am Wochenende einen Sondergipfel gibt" - zumal in der Woche darauf ohnehin ein reguläres EU-Gipfeltreffen ansteht. Sein Modell in der Flüchtlingspolitik sei ohnehin das hierbei extrem restriktive Australien. "Wir gehören nicht zum Freundschaftskreis der Aufnehmer von Migranten und wir wollen auch nicht dazu gehören", sekundierte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki.
Riskante Brückenfunktion
Immer wieder betonte Kurz die "Brückenfunktion", die Österreich gerne während seines EU-Ratsvorsitzes im kommenden Halbjahr ausüben würde. Im besten Fall ginge es dabei auch um eine Verringerung der Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten, die in der Migrationsdebatte entstanden sind. Von neuen - oder neu aufgebrochenen - Klüften zwischen Ost- und Westeuropa ist dabei ebenfalls die Rede.
Ob Österreich dabei tatsächlich vermitteln kann, ist noch offen. Die Annäherung zwischen Wien und Budapest, die deutlicher scheint als unter früheren Regierungen, wird in der Region jedenfalls von etlichen goutiert. "Es ist eine gute Gelegenheit, die Position der Länder Zentraleuropas zu konsolidieren", meint etwa Ales Chmelar, der als Staatssekretär in der tschechischen Regierung für EU-Angelegenheiten zuständig ist. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" am Rande des Prager Europa-Gipfels weist er darauf hin, dass kleine Gruppen manchmal effizienter in der Durchsetzung ihrer Anliegen seien - und nennt als ein gemeinsames Vorhaben eben die Stärkung des Grenzschutzes in der Europäischen Union. Österreich als neutrales und zugleich mit der Region verbundenes Land könnte dabei ein guter Verbündeter sein.
Andere Diplomaten äußern sich weniger positiv - wenn auch nicht offiziell. Ihnen ist die Anbindung an die Visegrad-Gruppe nicht nur Grund zur Freude. Denn vor allem die Regierungen in Budapest und Warschau finden mit ihren nationalistischen Tönen immer weniger Gehör in der EU. Das macht auch Prag und Bratislava zu schaffen, die Teil des Bündnisses sind. Dass Wien ebenfalls in diese Reihe gestellt werden möchte, ist wenig wahrscheinlich.
Manche wiederum empfinden die Deklarationen zur Brückenfunktion beinahe als prätentiös - so als ob Österreich die widerspenstigen Osteuropäer wieder an Westeuropa heranführen wollte. "Es gibt keinen Ost-West-Konflikt, die Berliner Mauer ist schon gefallen", sagt ein mitteleuropäischer Spitzendiplomat. Wenn ein Land sich mitten in einer Gemeinschaft befinde, sei keine Brücke zu ihm notwendig.