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Zu dumm zum Wählen?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Ganz grundsätzlich ist das allgemeine, freie Wahlrecht eine hervorragende Sache, eine große Errungenschaft und ganz, ganz wichtig.

Aber ist es wirklich der Weisheit letzter Schluss, dass Menschen an die Urne streben, die die Landessprache kaum beherrschen und auch sonst herzlich wenig darüber wissen, wie die Enden dieser Welt zusammenhängen? Und was ist mit all denen, die mit ihrer Stimme vor allem ein Ziel verfolgen: denen "da oben" eines auszuwischen? Und ob es ein Beitrag für eine bessere Welt ist, dass dann auch noch all jene wählen, die überzeugt sind, dass die Welt von einer üblen Verschwörung von Bilderbergern und Freimaurern gelenkt wird, von CIA und Mossad, die radikalen Islamisten natürlich nicht zu vergessen, müsste wohl auch noch erst geklärt werden.

Und weil sogar etablierte Gewissheiten über solchen Gedanken plötzlich wieder ins Wanken geraten, ist in besseren Kreisen längst eine Debatte am Laufen, ob es nicht vielleicht doch bessere Ideen als das allgemeine, freie und geheime Wahlrecht für jeden Bürger gibt. Selbstverständlich alles zum Wohle aller, vor allem auch derjenigen, die nicht ganz so clever sind.

Und so kommt es, dass etwa der belgische Historiker David Van Reybrouck - "Wir verachten die Gewählten, aber vergöttern die Wahlen" - für die Einführung eines Losverfahrens anstelle allgemeiner Wahlen eintritt. Der Titel seines Buches lautet: "Gegen Wahlen". Und gerade erst hat der US-Politikwissenschafter und Philosoph Jason Brennan sein Werk "Gegen Demokratie. Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen" vorgelegt.

Vor einigen Jahren war die große Politikerbeschimpfung en vogue bei den Denkern und Dichtern: Wenn nur die Regierenden weniger unfähig, ignorant, korrupt und überhaupt weniger daneben wären, dann, ja dann würde alles wieder gut.

Völlig überraschend ist die Kehrtwende bis dato ausgeblieben. Dafür haben die Kritiker einen neuen Schuldigen für die Krise des westlichen Demokratiemodells gefunden: die zu dummen, zu ungebildeten oder auch einfach nur böswilligen, weil vor allem rachsüchtigen Wähler, die doch tatsächlich ihre Stimme abgeben.

Nun, Demokratie ist tatsächlich eine mühsame Angelegenheit. Wie übrigens auch der Umgang mit Intelligenz. Ohne diese beiden wäre aber auch niemandem geholfen.