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Zu früh geboren

Von Matthias G. Bernold

Wissen

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Wie auf einer Raumstation liegen die kleinen Körper in ihren Glas-Boxen. Eingehüllt in blaues Licht. Künstlich beatmet, künstlich ernährt. In den Füßen - die sind so groß wie ein Erwachsenen-Daumennagel - stecken Sonden. Drei Zimmer mit zwölf Brutkästen gibt es in neonatologischen Abteilung des Sozialmedizinischen Zentrums Ost (Donauspital), wo von den Wänden Biene Majas und andere bunte Comic-Tiere blicken und wo zwischen surrenden Instrumenten und blinkenden Bildschirmen Teddybären sitzen.

Frühgeburten - das bedeutet intensivmedizinische Betreuung rund um die Uhr. Gehirn, Augen, Lunge und Magen-Darm-Kanal sind noch nicht voll ausgereift, wenn ein Kind vor der 37. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommt. Für die kleinen Patienten im Donauspital - nur hier und im AKH werden in Wien Frühchen behandelt - sind unter Tags zumindest fünf Schwestern und ein Arzt im Einsatz. "Sehr hoher Pflegeaufwand, Wärme, spezielle Lagerung und - ganz wichtig - menschliche Zuwendung", so beschreibt Stationsarzt Wolfgang Bock die Anforderungen für die Betreuung der Frühchen. Tagsüber verbringen die meisten Mütter viel Zeit mit ihren Sprösslingen.

In der Nacht kommt die Zuwendung dann allein von den Schwestern, die von ihrer Patientenschaft ganz schön auf Trab gehalten werden: Alle drei Minuten geht an einem der Betten der Alarm los. Die zappelnden Zwerge entfernen sich nicht selten die Schläuche von den Armen oder streifen ihre Sauerstoffmasken ab. Kontrollmonitore überwachen die Lebensfunktionen. Sobald irgendein Wert außer der Norm liegt, klingelt und blinkt es. Außerdem: So klein die Babys auch sind - Daniel zum Beispiel ist etwas größer als eine Barby-Puppe: Schreien können sie alle. Und wenn einmal einer oder eine das Lied anstimmt, fallen bald die anderen in den Kanon mit ein.

Weil sie starke Bauchschmerzen hat, beginnt auch Cornelia, die in der 27 Schwangerschaftswoche auf die Welt gekommen ist, in dieser Nacht zu weinen. "Das kommt, weil der Magen noch nicht voll entwickelt ist, das passiert oft", erklärt Schwester Natalie. Eine Hand auf dem Bauch des Mädchens lindert die Krämpfe. Dazu bespielt Natalie die Glasbox mit klassischer Musik, die die Mutter für Cornelia ausgesucht hat: "Das beruhigt", weiß die Schwester, "vor allem Mozart hat sich bewährt. Den mögen viele Kinder."

In den letzten Jahrzehnten hat die Medizin im Bereich der Neonatologie gewaltige Fortschritte gemacht: Bessere Medikamente, die die Lungenreife beschleunigen, für Kinder adaptierte Schmerzmittel, bessere Beatmungsgeräte, Messgeräte für Gehirnströme und Sauerstoffsättigung, schließlich Magnetresonanz- anstelle der riskanteren Röntgenuntersuchung. Die Säuglingssterblichkeit in Österreich fiel von 1.303 Todesopfern im Jahr 1980 auf 343 im Jahr 2003. Nichtsdestotrotz stoßen die Ärzte und Schwestern in diesem Feld tagtäglich an die Grenzen des Machbaren. "Die Lebensfähigkeit beginnt in der 23. Woche", erklärt Bock, wenn die Babys ein Geburtsgewicht von rund 500 Gramm haben.

Davor - meint der Mediziner, der schon seit 18 Jahren Frühchen medizinisch versorgt - sei es nicht nur unsinnig sondern auch unethisch, die Kinder zu behandeln. Selbst mit Hilfe modernster medizinischer Gerätschaften drohen bei Frühgeburten dauerhafte Schädigungen der Organe. Bis zur 26. Woche liegt die Überlebenschance bei 50:50, erklärt der Mediziner.

Die Chancen der Kinder erhöhen sich allerdings rapide. "In der 28 Woche liegen sie bereits bei 90 Prozent." Daniel, der beim Besuch der "Wiener Zeitung"och bester Dinge ist, wird es allerdings nicht durch die kritische Phase schaffen. Der Bub, der in der 23. Woche auf die Welt gekommen ist, stirbt drei Wochen später an den Folgen einer Sepsis.

Die 16-jährige Mutter war so erschüttert, dass sie das Kind nicht selbst aus dem Brutkasten heben wollte, was die Schwestern den Müttern in der Regel anraten, "damit sie sich von den Kindern verabschieden können." Mit dem Tod umgehen lernen, muss jeder, der auf der Station Dienst schiebt. "Wenn du ein Kind wochenlang betreust, entsteht eine enge Bindung", erklärt Schwester Andrea: "Da tut es weh, wenn das Kind stirbt." Ebenso schlimm sei es allerdings, ein Frühchen leiden zu sehen, "wenn die Schmerzmittel nicht mehr wirken und man nichts tun kann."

Warum kommen Kinder eigentlich zu früh auf die Welt? Meistens, erklärt Bock, handelt es sich um Infektionen des Embryos oder es sind mütterliche Indikationen wie Gestose (Schwangerschaftsvergiftung), die erfordern , das Kind frühzeitig "rauszuholen".

Eine Infektion war auch der Grund, dass bei Katharina Kainz die Geburt frühzeitig eingeleitet werden musste. "Ich bin zur Routineuntersuchung ins Spital gekommen", berichtet die Gemeinde Wien-Bedienstete, "dann haben sie mich gleich da behalten. Hätte man die Infektion nicht bemerkt, wären wir beide gestorben". Jetzt freut sich Frau Kainz schon auf den Mai: "Dann wäre der reguläre Geburtstermin und ich kann Phillip mit nach Hause nehmen."

Geburten in Österreich

Die Geburtenzahlen in Österreich sind seit langem rückläufig. Kamen in den 1960er- bis 1970er-Jahren noch zwischen 100.000 und 130.000 Kinder zur Welt, pendelte sich die Geburtenrate in den 1980er-Jahren um die 90.000 ein. Von 1996 bis 2000 lag der Jahresschnitt bei 82.099 Geburten - für 2004 verzeichnete die Statistik Austria 77.991 Neugeborene. Zum Vergleich: Um die Jahrhundertwende ins 20. Jh. wurden in den Gebieten des heutigen Österreich jährlich rund 180.000 Kinder geboren. 333 Frühgeburten mit Schwangerschaftsdauer von bis zu 28 Wochen gab es im Jahr 1993 - 2003 wurden 373 Fälle verzeichnet. In den letzten zehn Jahren kamen die meisten Frühchen 2000 zur Welt: nämlich 415. Frühchen in der 29. bis zur 32. Schwangerschaftswoche gab es 1993 665 - im Jahr 2003 waren es 815. Säuglinge mit Geburtstag in Schwangerschaftswoche 33 bis 37: Zwischen 7.000 und 8.000. Die Säuglingssterblichkeit in Österreich fiel von 1.303 Todesopfern im Jahr 1980 auf 343 im Jahr 2003. Auf 10.000 Lebendgeburten kamen 1980 statistisch gesehen 143,4 Todesfälle - 2003 lag diese Zahl nur noch bei 44,6 Fällen.