Deutschland gewährt erstmals Einblicke, wie ukrainische Soldaten in ein modernes Flugabwehrsystem eingeschult werden.
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Der Ort ist selbstredend streng geheim. Liest doch der Feind mit. Dass sich Russland auf schlechte Nachrichten einstellen soll, kommunizieren deutsche Militärs dieser Tage hingegen ganz offen. Erstmals gewähren sie Einblicke in die Einschulung ukrainischer Soldaten in IRIS-T SLM. Hinter dem Buchstabensalat verbirgt sich eines der modernsten Flugabwehrsysteme der Welt. Ein potenzieller "Gamechanger", welcher der Ukraine helfen soll, im Krieg gegen Russland zu bestehen. "Die russische Invasion wird sich nur stoppen lassen, wenn die Ukraine ihren Luftraum freihalten kann", sagt ein Vertreter der deutschen Luftwaffe gegenüber der ARD, die als eines von nur drei Medien Einblick erhält.
IRIS-T soll eine Art Schutzschirm über dem ukrainischen Himmel spannen. Ein System besteht aus einer Radaranlage, einem Gefechtsstand und drei Raketenwerfern, die auf Lastwagen montiert werden, mit je acht Raketen. Bis zu 40 Kilometer beträgt deren Reichweite, auch in rund 20 Kilometern Höhe können die Raketen ihre Ziele abschießen - von russischen Marschflugkörpern bis zu Drohnen aus iranischer Produktion, welche Russland im mittlerweile mehr als ein Jahr dauernden Krieg in der Ukraine einsetzt.
Bisherige Erfahrungen mit IRIS-T scheinen vielversprechend zu sein. Bei 51 Zielen habe es 51 Treffer gegeben, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters - ebenfalls beim Training vor Ort - Soldat Anatolii, dessen vollständiger beziehungsweise korrekter Name geheim bleibt. Aber bei der Menge der Lieferungen hapert es: Bisher wird erst ein IRIS-T-System in der Ukraine eingesetzt. Das zweite soll in den kommenden Wochen geliefert werden. Damit wäre aber erst die Hälfte erreicht, vier Systeme hat die Regierung in Berlin zugesagt. Aber selbst wenn das Kontingent erfüllt ist, für die Verteidigung der Ukraine seien laut Soldat Anatolii zwölf Gerätschaften erforderlich. Wie etwa bei Schützen- und Kampfpanzern ist das angegriffene Land darauf angewiesen, dass die Partner in der EU, in den USA und den Staaten der Nato kontinuierlich Kriegsmaterial liefern.
EU-Mission mit Zentrenin Deutschland und Polen
IRIS-T genießt bei der ukrainischen Armee auch deswegen hohen Stellenwert, weil es im Vergleich mit den amerikanischen Patriot-Systemen nur ein Drittel der Zeit benötigt, um sein Radar auszufahren. Dieser Umstand ist in der Gefechtspraxis bedeutsam, weil die Raketenabwehrsysteme von den russischen Truppen geortet werden können, sobald das Radar eingeschalten ist. Neben Zeit spielt auch die Bedienung eine Rolle, und trivial ist IRIS-T nicht: "Hier haben Sie Knöpfe mit acht Untermenüs auf einem Touch-Screen", berichtet ein Ausbildner der deutschen Bundeswehr. Ukrainische Soldaten streichen die größere Effektivität, aber auch Komplexität im Vergleich zu den Flugabwehrsystemen aus sowjetischen und russischen Beständen hervor.
Die Soldaten erlernen in Deutschland anhand von Radarbildern und Simulation, wie sie Ziele ausmachen und abschießen. Ein Feld auf dem Display zeigt "Fire" an, den Auslöser.
Sechs bis sieben Wochen befinden sich die ukrainischen Armeeangehörigen in der Bundesrepublik. "Wir sind nicht hier als Touristen", sagt einer gegenüber Reuters. Tabu sind auch Lokalbesuche: "Entspannung ist für Friedenszeiten", erklärt Soldat Myckhailo der ARD.
Als überaus konzentriert haben Ausbildner bereits jene ukrainischen Soldaten wahrgenommen, die mit dem Kampfpanzer Leopard vertraut gemacht worden sind. "Wir sind alle immer schwer beeindruckt von der raschen Auffassungsgabe und dem auch handwerklichen Geschick", sagte Generalleutnant Andreas Marlow. Bis Ende des Monats soll das Training für 2.000 ukrainische Soldaten in Deutschland abgeschlossen sein; mit Jahresende sollen es 9.000 Personen sein.
Die Ausbildung ist Teil der EU-Mission EUMAM. Mitte Oktober 2022 offiziell eingerichtet, ist diese vorerst auf zwei Jahre ausgerichtet.
Wartung erfolgtin der Slowakei
Ziel ist, die Truppen so zu stärken, dass sie die "territoriale Unversehrtheit und die Souveränität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen verteidigen und die Zivilbevölkerung schützen können", beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU. Neben Deutschland ist Polen zentral bei der Ausbildung von Soldaten, dort befindet sich auch der zweite Haupt-Standort der Mission. Die Ausbildner stammen aber auch aus anderen Staaten, in Deutschland sind Niederländer und Norweger tätig.
Länderübergreifende Kooperation gilt auch bei der Wartung. Hierbei arbeitet Deutschland mit der Slowakei zusammen, wo ein Instandsetzungszentrum für geliefertes Gerät in Betrieb ist.(da)