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Zu Gast im "Leiden"

Von Andreas Rauschal

Reflexionen

Ein Gespräch über Anti-Wellness und den Mythos Hotelzimmer.


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"Wiener Zeitung": Frau Habbel, Herr Wenzl, Sie haben für Ihr Buch "Herzbrechhotel" Unterkünfte besucht, die Schlimmes befürchten lassen, weil sie "Leiden", "Trauer" oder "Angst" heißen. Hat sich die Nomen-est-omen-Theorie bestätigt?

Check-in im Hotel "Angst" - einer von vierzehn Stationen auf der Spur trauriger Herbergen. Conny Habbel sagt dazu: "Unser Ansatz war nicht nüchtern, sondern poetisch."
© Foto: Conny Habbel

Conny Habbel: Wir haben auf unserer Reise edle Hotels ebenso besucht wie solche, in denen man die Stimmung des Namens durchaus wiederfinden konnte ...

Franz Adrian Wenzl: ...und man darf nicht außer Acht lassen, mit welchem Gefühl man in ein Hotel geht. Wenn ich namentlich traurige Herbergen aufsuche, ist das schon ein sehr spezieller Blickwinkel. Für den unbedarften Beobachter, der die Namen nicht wüsste, wären das Hotels wie alle anderen auch.

Sie haben einen Feel-bad-Zugang gewählt, der im Gegensatz zum Wellnesstrend der Tourismusbranche steht. Quasi: Saunabereich und Hochzeitssuite mag es zwar geben, im Stock dazwischen hängt sich aber gerade jemand auf?Wenzl: Die Suche nach Wellness und dem Schönen der Freizeit - das beste Hotel, der meiste Genuss - macht die Gefahr einer Enttäuschung sehr groß. Wir hingegen konnten mit unserem Ansatz nur gewinnen.

Habbel: Beim Fotografieren freut man sich über Hotels, die skurril wirken und Details offenbaren - etwas, das interessanter ist als eine schöne Tapete. Sehr elegant oder sehr skurril ist da hilfreich, alles dazwischen schnell langweilig. Denken wir nur an das typische Vertreterhotel.

Hotels bedeuten für den Normalverbraucher Urlaub und Erholung, für den Geschäftsreisenden hingegen Einsamkeit und Minibar. Wird das Hotel als Wohlfühlort überschätzt?Wenzl: Das Hotel ist für mich grundsätzlich ein unbeschriebener Ort - weshalb man es auch aufladen kann, womit man möchte. Urlaubsgedanken sind naheliegend, wenn man nicht, wie etwa wir als Musiker und Künstler, viel unterwegs ist und die Räume somit in einem anderen Kontext stehen.

Habbel: Das Spezielle am Hotel ist nicht nur das Wohlfühlen, sondern auch, dass alles so schön reduziert ist: Es gibt ein Bett, ein Bad und vermutlich einen Fernseher. Dadurch hat man eine Konzentration, die zuhause undenkbar ist, wo Dinge herumliegen, mit denen man sich beschäftigen kann.

Sofia Coppola zeigt uns im Film reiche Menschen, die sich in Luxushotels langweilen. Edward Hoppers Gemälde porträtieren den modernen Menschen in seinem Zimmer als isoliert und verloren. Die Entzauberung eines ansonsten stark mystifizierten Themas war auch Ihnen ein Anliegen?Habbel: Nein. Melancholie und Einsamkeit mögen sich im Buch wiederfinden, aber unser Ansatz war nicht nüchtern, sondern poetisch. Die Tristesse, um die es da auch geht, und der Humor, der aufblitzt, das ist ja alles ein Zauber für sich, den wir nur weniger im Prunk als mehr in den untypischen und abseitigen Dingen dazwischen gefunden haben.

Wenzl: Wir sind uns bewusst, dass das Hotel in der Kunst auch ein Ort der Klischees ist, sind aber nicht angetreten, diese zu desavouieren, sondern, uns ein eigenes Bild zu machen. Und eine eigene, leise Poesie dazwischen zu finden.

Habbel: Wir greifen das Klischee auf und spielen damit ...

Wenzl: ...und wie bei so vielen Klischees ist ein Gutteil Wahrheit darinnen - Frühstücksbuffets muss ich jetzt auch nicht mehr haben.

In Amerika geht man ins Motel, in England mietet man sich bei Omi im Bed and Breakfast ein, in Deutschland und Österreich wird man mitunter auch heute noch ins Fremdenzimmer gesteckt. Was sagt das über uns aus?Wenzl: Interessant, so habe ich das noch nie gesehen. Das klingt schon eher befremdlich - beinahe abstoßend im Vergleich zum herzlichen "Bed and Breakfast".

Habbel: Die Bezeichnung Fremdenzimmer geht vermutlich noch davon aus, dass die Zimmer der Kinder irgendwann leerstanden und deshalb vermietet wurden. "Unser Zuhause" trifft in Form eingemieteter Gäste dann auf das Fremde.

Frau Habbel, Sie haben sich in Ihrer Fotoserie "Home ist the place you left" bereits gezielt mit dem Thema Zuhause auseinandergesetzt. Was war die Herausforderung bei der Fotografie von Hotelzimmern in der Fremde für Sie?Habbel: Mit "Home ist the place you left" ging es mir um etwas Klaustrophobisches - eine beengte Situation, der man entstammt und der man ebenso wenig entkommen, wie man wieder völlig in sie zurückfinden kann. Jeder, der seine Eltern besucht, kennt die Enge, die bisweilen ab dem zweiten Tag eintritt. Das Hotel ist das Gegenstück. Dort gibt es zu wenig Anker. Die Aufgabe ist, aus dem unbeschriebenen Zimmer etwas Eigenes zu machen.

Sie können das Hotelzimmer also als neutralen Ort wahrnehmen, den erst der Gast mit Leben erfüllt. Zeigen nicht gerade die Fotos im Buch aber durch die Einrichtung stark vorherbestimmte Räume?Wenzl: Das Neutrale wird von vielen Hotelketten bemüht. Man denkt sich dann, aha, das waren also die frühen 90er Jahre. In einer Pension in Molln sieht die Situation natürlich ganz anders aus.

Wir sehen im Buch Teddybären, Jagdtrophäen und Vorhang gewordene Fehlkäufe aus dem XXXLutz. Wie viel Geschmacklosigkeit ist dem Gast denn zumutbar?

Franz Adrian Wenzl und Conny Habbel.

Habbel: Die, sagen wir, skurrileren Häuser sind zwar speziell, aber nicht unbedingt geschmackloser als die klassischen Vertreterhotels, wo die Stoffe fleckig gehalten und die Oberflächen aus geklebtem Pseudoholz sind. Wir nehmen das nur als neutral wahr, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Wenzl: Und vor allem ist das im wahrsten Wortsinn geschmacklos, weil ohne Geschmack, während das Individuelle vielleicht kein guter Geschmack ist, aber zumindest ein individueller und somit auch liebevoller Ausdruck.

Habbel: Es steckt also Ambition dahinter. Und misslungene Ambition ist immer etwas Tolles.

Herr Wenzl, Ihre Kurztexte im Buch beschäftigen sich nur selten mit hotelspezifischen Themen. Wie war Ihre Herangehensweise an die Schreibarbeit?Wenzl: Relativ kompliziert, da ich viele Formate ausprobiert habe, ehe ich mich auf diese Mikrogeschichten einigen konnte. Die angesprochene thematische Distanz war zwischendurch wichtig, um Eindimensionalität zu vermeiden.

"Herzbrechhotel" geht auf Elvis Presleys "Heartbreak Hotel" zurück. Als Rock-’n’-Roll-Sujet haben Hotels aber an Bedeutung verloren. Zimmer werden nicht mehr zerstört und auch seltener bewohnt, heute hat man ja alles im Tourbus. Ist das Wirtschaftlichkeit oder Kulturverlust?Wenzl: Das Zertrümmern ist zum Klischee geronnen und gibt als Mythos aktuell nichts mehr her. Der Tourbus ist eine praktische Sache und kommt dem Terminplan zugute, kann das Hotel aber auch nicht ersetzen.

In Ihrer Rolle als Austrofred fühlen Sie sich hingegen im Wohnwagen heimisch?Habbel: Der Austrofred hätte bestimmt auch Freude an Wellness.

Wenzl: Stimmt, er wäre ein sehr guter Kurschatten. Und hätte nichts gegen Prunk einzuwenden, solange er ihn nicht selber bezahlen muss.

Zu den Personen
Conny Habbel und Franz Adrian Wenzl
Conny Habbel, 1979 in Regensburg geboren, arbeitet als Künstlerin und Fotografin und publiziert zu den Themen Kulturtheorie und bildende Kunst.
Franz Adrian Wenzl, Jahrgang 1976, ist als Sänger der Band Kreisky, in seiner Rolle als Austrofred und als Autor bekannt. "Herzbrechhotel" (18,50 Euro) erscheint kommende Woche bei orange-press. Buchpräsentation am 8. November im phil (Gumpendorfer Straße 10-12)