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Zu Hause, fast

Von Katharina Schmidt

Politik

Pflege daheim: Slowakische 24-Stunden-Betreuerinnen über ihren Alltag in einem fremden Haushalt.


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Wien. "Bitte schreiben Sie keine Tränendrüsengeschichte." Bibiána Kudziová kennt solche Geschichten schon zur Genüge. Die gebürtige Slowakin war selbst jahrelang als Personenbetreuerin tätig, auch heute noch arbeitet sie stundenweise in der Pflege alter oder gebrechlicher Menschen. Vor sechs Jahren hat sie begonnen, sich für die Rechte der slowakischen 24-Stunden-Pflegerinnen einzusetzen. Ihre Facebook-Seite, auf der sie Informationsmaterial zur Verfügung stellt und den Betreuerinnen ein Forum zum Austausch bietet, hat mittlerweile mehr als 17.000 Mitglieder.

Eine von ihnen ist Barbora Hricová. "Ich habe die Arbeit mit den alten Leuten sehr gerne, auch wenn sie nicht immer leicht ist", erzählt auch die 25-Jährige. Natürlich würde sie lieber in ihrem Heimatort in der Ostslowakei arbeiten - die Chancen, dort eine Arbeitsstelle zu finden, von der man auch leben kann, stehen aber denkbar schlecht. Die Arbeitslosenquote in der Slowakei ist fast doppelt so hoch wie in Österreich, der Durchschnittslohn in dem EU-Staat liegt bei unter 900 Euro brutto. Dabei seien die Lebenskosten fast auf österreichischem Niveau. In Österreich bekommen Personenbetreuerinnen netto durchschnittlich rund 700 Euro für zwei Wochen. Doch auch hier gibt es Druck von billigeren Arbeitskräften zum Beispiel aus Rumänien, wo die Lebenskosten niedriger sind.

Zu wenig für Pflegerinnen,zu viel für die Familien

Für die Familien ist die Betreuung dennoch nicht so einfach leistbar: Zu den monatlich rund 1400 Euro für die Betreuerinnen kommen die Sozialversicherung und die Fahrtkosten für den Turnuswechsel, der alle paar Wochen stattfindet. Je nach Zahlungsmodell werden auch diese Kosten oft von den Familien getragen. Der Aufwand lohnt sich aber offenbar: Von den rund 51.000 aktiven Personenbetreuerinnen stammt die Hälfte aus der Slowakei, 15.000 aus Rumänien und rund 3000 aus Ungarn. "Österreicherinnen machen den Job kaum, weil es sich für sie nicht auszahlt", sagt Kudziová, die auch in der Wirtschaftskammer Wien als Standesvertreterin aktiv ist.

Für Hricová zahlt es sich aus, obwohl sie alle zwei Wochen hunderte Kilometer hin und her fahren muss. Die Agentur, die sie zuerst nach Österreich vermittelte, war eine von jenen, denen weder das Wohlbefinden der Betreuerinnen noch das der Kunden am Herzen liegt - für hohe Vermittlungsprovisionen und wenig Bezahlung "nehmen sie alle Frauen, egal, ob sie Deutsch können oder nicht." Hricová aber hatte Glück - ihr erster Kunde in der hunderte Kilometer von zu Hause entfernten Steiermark war ein gebürtiger Ukrainer, mit dem sie aufgrund der Ähnlichkeit der Sprachen recht gut kommunizieren konnte.

Mittlerweile arbeitet die Wirtschaftskammer aber an einer Verbesserung der Qualität der Agenturen. Erst seit Jänner gibt es eigene Standesregeln für Agenturen, in denen unter anderem ethische Grundsätze berücksichtigt werden, auch ein Qualitätsgütesiegel ist geplant. Damit sollen Agenturen, denen es egal ist, ob die Betreuerinnen ein eigenes Zimmer haben oder Deutsch können, bald der Vergangenheit angehören.

Klare Grenzenauf beiden Seiten setzen

Wichtig ist, dass auf beiden Seiten von vornherein klar ist, was Teil des Vertrags ist und was nicht: Mit dem Gewerbeschein als Personenbetreuerin dürfen zum Beispiel selbst ausgebildete Krankenschwestern nicht als solche arbeiten, sie brauchen eine Unterschrift vom Arzt, um medizinische Tätigkeiten zu verrichten. Manchmal ziehen die Familien die Betreuerinnen auch zu Aufgaben heran, die eigentlich gar nicht zu ihrem Job gehören: "Ich habe an einem Tag 15 Fenster geputzt, am nächsten Tag hat die Tochter zu mir gesagt, ich würde gar nichts arbeiten", erzählt Hricová. Den Job habe sie rasch gekündigt. Zwar gehört es für sie auch zum Beruf, die Wohnung sauber zu halten und gelegentlich Fenster zu putzen - aber "man muss auch auf sich schauen und Grenzen setzen". Dazu gehören regelmäßige Pausen, in denen die Pflegerinnen keine Verantwortung für die Klienten haben.

Auch Katarína Pánová musste schon einmal recht deutlich eine Grenze setzen. "Eine Frau wurde von ihrer Tochter schlecht behandelt, hatte aber auch einen umgekehrten Tag-Nacht-Rhythmus, sie war in der Nacht wach. Die Tochter wollte nicht, dass ich tagsüber schlafe, also war ich 48 Stunden lang wach", schildert die 27-Jährige. Auch an ihr erstes Weihnachten in Österreich erinnert sich Pánová noch gut. Gerade einmal 20 Jahre war sie damals alt und erst seit ein paar Monaten in Österreich. "Die Kinder meiner Klientin waren nur zu Mittag kurz da - auch für die alte Dame war es kein Weihnachten." Gemeinsam einsam also. Gegen dieses Gefühl des Fremdseins hilft oft ein Gespräch mit den Verwandten zu Hause - Hricová telefoniert täglich mit ihrer Mutter, Pánová wird von ihrem Mann unterstützt.

Manchmal werden die Pflegerinnen auch als Familienmitglieder aufgenommen: Pánová erzählt von einer Frau, die ein paar Worte Slowakisch lernte, mit ihrer Familie geplaudert und ihr einen Deutschkurs vermittelt hat. Und Weihnachten dort sei auch ganz anders gewesen - "fast wie zu Hause", sagt die 27-Jährige.

Wie im privaten Umfeld geht es auch bei der 24-Stunden-Betreuung viel um Sympathie und Einfühlungsvermögen. "Manche Kunden haben 30 Jahre lang alleine gewohnt - sie haben ihre Gepflogenheiten, die ich nicht ändern darf", sagt Hricová. Eine Kundin musste sie 24 Mal in der Nacht auf die Toilette begleiten. Auch das ist Teil des Jobs.

Mit demenzkranken Kunden erleben die Frauen oft auch Tragikomisches: So war Hricová einmal stundenlang mit ihrer Kundin im Botanischen Garten spazieren, bevor diese sie plötzlich aus der Wohnung hinauskomplementierte, da sie sie nicht mehr erkannte. "Ich habe schon darauf gewartet, dass mein Koffer aus dem Fenster fliegt", meint sie. Doch Hricová kam wieder - die Kundin begrüßte sie freudestrahlend und erzählte ihr aufgeregt, wie schön der Ausflug mit Freundin XY in den Botanischen Garten war. "Da braucht es eben einen kühlen Kopf und eine Portion Humor, dann geht das schon", so Hricová.

"Dann muss man ebenauf die Seite gehen"

"Die Menschen sind wie das Wetter, einen Tag ist es gut, einen Tag ist es schlecht", meint auch Pánová. "Ich habe es erlebt, dass mich eine Frau einfach geschlagen hat, aber sie wusste es nicht. Man muss dann eben einfach ein bisschen auf die Seite gehen."

Nicht immer können die Pflegerinnen über den Dingen stehen: Wenn ein Gepflegter stirbt, sind sie nicht nur plötzlich arbeitslos, sondern trauern auch. Manche Familien ermöglichen den Betreuerinnen, auf das Begräbnis mitzugehen, manche nicht. Und manchmal werden sie an eine andere Stelle gerufen und haben gar keine Zeit zu trauern. Nein, keine Tränendrüsengeschichte. Aber es gibt wohl einfachere Jobs.