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Fragen wie das Kopftuch-Verbot und das Zypern-Problem hat der türkische Premier gemieden. | Als sie auch im Universitätsbus kein Kopftuch tragen durfte, hat es Ayse gereicht. Sie hat ihr Studium fürs erste beendet. Schon davor hätten sich ihre Kollegen gewundert, dass sich die 22-jährige Studentin in Ankara in ihrer Freizeit mit dem sogenannten Türban bedeckt - in der Universität und auf dem Campus ist es ja verboten. Sie hätten geglaubt, alle Türbanträgerinnen seien fanatisch, erzählt Ayse.
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Dabei wollen auch junge Frauen wie Ayse einfach die Möglichkeit haben, ihr Kopftuch zu tragen. Dies ist aber in der Türkei in Schulen, Universitäten und Behörden verboten. Die Frauen klagen über Benachteiligungen in Bildung und Berufsleben: Etliche Firmen wollen keine Angestellte mit Türban. Andere wiederum sehen im Kopftuchverbot Positives. Wenn es aufgehoben würde, wäre der Druck sich zu bedecken stärker, befürchtet etwa die 20-jährige Leyla. Das wäre ein Rückschritt für das Land.
Obwohl die Zahl der Kopftuchträgerinnen in der Türkei von 73 Prozent in den 90er-Jahren sich mittlerweile um zehn Prozent verringert hat, ist der streng um den Kopf anliegende - und meist sorgsam passend zur Kleidung ausgesuchte - Türban in den vergangenen Jahren von einem religiösen auch zum politischen Symbol geworden. An ihm hat sich ebenfalls der Streit um die Wahl des Präsidenten entzündet. Für die Säkularisten ist ein Staatsoberhaupt mit einer Kopftuch tragenden Ehefrau undenkbar. Deswegen haben sie sich gegen die Kür des Kandidaten der islamisch geprägten Regierungspartei AKP, Abdullah Gül, gewehrt.
Um keine weiteren Debatten zu entfachen, hat Premier Recep Tayyip Erdogan das Thema Kopftuch im Wahlkampf auch gemieden. Mit seiner Türban tragenden Frau ist er allerdings gerne aufgetreten. Sollte er vorhaben - wie es einige seiner Wählerinnen hoffen -, das Kopftuchverbot zu lockern, muss er mit heftigsten Protesten der Säkularisten rechnen.
Die 28 AKP-Mandatarinnen, die nach der Wahl am Sonntag ins Parlament einziehen, werden jedenfalls kein Kopftuch tragen. Doch unabhängig davon können sich türkische Frauen in der Großen Nationalversammlung nicht zahlreich repräsentiert fühlen. Der Frauenanteil im Parlament hat sich im Vergleich zur Wahl 2002 zwar verdoppelt. Mit einer Rate von 8,9 Prozent rangiert die Türkei aber noch immer weltweit erst an hundertster Stelle.
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Weit weniger emotional als die Kopftuch-Frage sehen die meisten Türken das Zypern-Problem. Minder heikel ist es aber nicht. Hat doch die Europäische Union die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht zuletzt wegen der Nicht-Anerkennung der Republik Zypern ausgesetzt. Ankara erkennt - anders als der Rest der Welt - nur die Türkische Republik Nordzypern an, wo bis zu 30.000 türkische Soldaten stationiert sind.
Dass sich daran bald etwas ändert und Bewegung in den Streit kommt, ist nicht zu erwarten. Die Zeit sei noch nicht reif, dass die Rolle des Militärs in der Türkei - das für eine unnachgiebige Haltung zu Zypern steht - geringer werde, heißt es aus Nikosia, der Hauptstadt der geteilten Insel. Auch bleibt die Frage offen, ob Erdogan die Armee vor der Präsidentschaftswahl im Herbst mit Zugeständnissen an Zypern reizen will.
Auf Zypern selbst stehen im Februar des kommenden Jahres ebenfalls Präsidentenwahlen an. Amtsinhaber Tassos Papadopoulos (73) hat nun seine Wiederkandidatur angekündigt. Er wolle weiter an einer Lösung für die Insel arbeiten, erklärte er in einer Fernsehansprache - und plädierte gleichzeitig an die griechischen Zyprioten, stolz zu sein auf die gemeinsame Ablehnung eines UN-Plans zur Wiedervereinigung im Jahr 2004.
Damals war ebenso die kommunistische AKEL, bis vor kurzem Koalitionärin in Papadopoulos Regierung, gegen den Plan. Mittlerweile werden aber aus ihren Reihen Stimmen laut, die dem Präsidenten zu wenig Konsensbereitschaft attestieren. Die AKEL schickt einen eigenen Kandidaten in die Wahl. Warten auf den nächsten Urnengang heißt es also auch auf Zypern.