Muslime und Juden messen Jerusalem eine Bedeutung bei, die es nicht hat.
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Wien. Dass US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennt, hat bei den meisten Israelis Genugtuung, Freude, auch Euphorie hervorgerufen. Der Schritt des US-Präsidenten war allerdings nur kurzfristig ein triumphaler Erfolg, die Konsequenzen standen nicht auf den israelisch-amerikanischen Wunschzetteln: Washington hat die Vermittlerrolle in Nahost, die man lange innehatte und auf die man zu Recht stolz war, mit einem Federstrich verspielt.
Weitere Folgen: Im Gegenzug proklamierten 50 muslimische Staaten Ost-Jerusalem als besetzte, aber legitime Hauptstadt Palästinas. Es gab im Gaza-Streifen und im Westjordanland blutige Proteste, Racheschwüre der libanesischen Hisbollah und Intifada-Drohungen der Hamas. Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas erklärte, Jerusalem werde für immer die Hauptstadt Palästinas sein.
Jerusalem war Moses egal, auch kein Wort dazu im Koran
War von einem weihnachtlichen Nahost-Frieden schon in den vergangenen Jahren keine Spur, gehen heuer die Wogen besonders hoch. Dabei gibt es Vorschläge zur Deeskalation, die zwar nicht fromm klingen, aber beachtenswert sind. Der israelische Philosoph Omri Boehm ist der Ansicht, dass man als Jude die Bedeutung Jerusalems ganz einfach relativieren müsse. In der Thora, so Boehm, komme Jerusalem nämlich gar nicht vor. Auch für Moses und Josef sei die Stadt alles andere als ein Sehnsuchtsort gewesen. Mehr noch: Das jüdische Gesetz verbiete jede jüdische Herrschaft über Jerusalem vor der Ankunft des Messias und der Erfüllung der Prophezeiung des Jesaja.
Jerusalem - ein Fetisch also, ein Götze, dem Juden wie Muslime huldigen und der für den jahrzehntelangen Unfrieden in Nahost maßgeblich verantwortlich ist? Ja, sagt Boehm in einem Beitrag in der "Zeit". Die Anbetung gehe so weit, dass auch Menschen außerhalb der Siedlerbewegung und der israelischen Regierung ein vereinigtes Jerusalem für wichtiger hielten als den Frieden. Hier werde aber Land und nicht Gott verehrt, ein zutiefst heidnisches Unterfangen also. Fazit: Wenn Jerusalem von den Juden als das angesehen würde, was es ist, wäre man einen Schritt näher an einer Friedenslösung.
Doch Jerusalem spielt nicht nur für gläubige Juden eine zentrale Rolle. Auch auf Seiten der Araber ist "Al-Quds", "die Heilige", wie die Stadt auf Arabisch heißt, ein immens wichtiges Heiligtum. Und wie für das Judentum ist auch für den Islam der Tempelberg, auf dem mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee die drittwichtigste religiöse Stätte des Islam steht, ein heiliger Ort. In der 17. Koransure ist von der "Masjid Al-Aksa", der "fernsten Moschee" (oder: Gebetsstätte) die Rede.
Der Name "Jerusalem" wird in dem Vers des Buches, das Muslimen als wörtliche und damit unveränderbare Offenbarung Gottes gilt, aber nicht erwähnt. Dennoch ist es islamische Tradition, dass mit der "fernsten Moschee" die Gebetsstätte auf dem Tempelberg in Jerusalem gemeint ist. Laut einem der Hadithen, jenen Schriften, die über das Leben des Propheten Mohammed berichten, soll der Begründer des Islams vom Tempelberg aus mit seinem Zauberpferd Buraq in den Himmel geritten sein, um seine Vorgänger Ibrahim (Abraham), Musa (Moses) und Isa (Jesus) zu treffen. Im Felsendom soll sogar ein Hufabdruck zu sehen sein, den Buraq hinterlassen haben soll.
Das klingt eigentlich wie eine schöne Vision brüderlicher Eintracht der drei monotheistischen Weltreligionen. Von schöner ökumenischer Eintracht zwischen Judentum und Islam auf dem Tempelberg - das Christentum spielt in Jerusalem selbst nur eine Nebenrolle, es gibt nicht viele Christen in der Stadt - ist trotz dieser Vision in der Gegenwart aber leider nichts zu spüren. Und es sind gewiss nicht nur radikale jüdische Kreise, die die Errichtung eines dritten Tempels befürworten, die Feuer an die Zündschnur legen. Obwohl der Tempelberg "nur" das drittwichtigste islamische Heiligtum hinter Mekka und Medina ist, scheint die muslimische Welt von Jerusalem wie besessen. Der Felsendom wurde zum wichtigen muslimischen Symbol. In Ländern wie dem Jemen oder in Ägypten hängen etwa in vielen Taxis Wimpel mit der Abbildung des Heiligtums.
Ein Symbol für die Besetzung
Die religiöse Bedeutung Jerusalems dürfte nicht der Grund dafür sein. Es geht um - mit Religion aufgeladene - Politik. Jerusalem ist in der arabischen Welt zu einem Sinnbild für die Besetzung Palästinas durch Israel geworden. Nach Trumps Entscheidung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, tauschten auch viele in Europa lebende Muslime ihre Facebook-Profilbilder mit Abbildungen des Felsendoms und forderten online "Solidarität mit al-Quds". Manche gingen auf die Straße, skandierten Parolen gegen Israel und verbrannten israelische und US-Flaggen.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nutzt die Erregung über Trumps Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem und wirft Israel "Staatsterror" vor. "Hey Trump! Stehst du etwa hinter diesem Israel? Hier gibt es Besetzung, hier gibt es Folter, hier gibt es Terror. Verteidigst du das etwa?", sagte Erdogan jüngst. Die jüdische Präsenz in ihrem Palästina, die Existenz Israels an sich ist vielen Palästinensern immer noch ein Dorn im Auge.
Eine Stadt, zwei Hauptstädte
Eine Friedenslösung im Heiligen Land ist deshalb auch 2018 nicht in Sicht. Israels Premier Benjamin Netanjahu igelt sich ein und bezeichnet die UNO als "Lügenhaus". Deren Vollversammlung hat nun in einer Dringlichkeitssitzung mehrheitlich die USA aufgefordert, die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels zurückzunehmen. Für Netanjahu ist ein Friedensabkommen mit den Palästinensern nicht vorstellbar, da diese letzten Endes immer Israels Vernichtung im Sinn hätten.
Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller sind sich längst einig, dass neben einem Zurechtrücken der Bedeutung Jerusalems der Weg zum Frieden nur über einen Palästinenserstaat möglich ist, der auf Augenhöhe mit Israel verhandeln kann. Wichtig wäre, dass Palästina genauso international anerkannt wird wie Israel. Schließlich müsste Israel von allen Palästinensern ebenso anerkannt werden wie Palästina von den Israelis. Verhandeln kann man nur mit jemandem, den man auch anerkennt. Und was, wenn dann der Westteil Jerusalems zur Hauptstadt Israels würde und der Ostteil zu der Palästinas?
Ein derartiger Weg kann mit Netanjahu und Trump nicht beschritten werden. Allerdings werden beide nicht ewig regieren. Netanjahu wird von der Polizei seit geraumer Zeit wegen Korruptionsvorwürfen immer wieder verhört. Der Premierminister soll teure Geschenke angenommen und Medienberichterstattung unrechtmäßig beeinflusst haben. Im Dezember wurde zum "Marsch der Schande" aufgerufen, 10.000 Menschen gingen in Tel Aviv auf die Straße, um den Rücktritt Netanjahus zu fordern. Lange Jahre war die politische Linke in Israel wie gelähmt, jetzt beginnt sich offener Widerstand zu formieren.