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Zu Lasten der Anleger

Von Wilhelm Rasinger

Gastkommentare
Wilhelm Rasinger ist kritischer Anlegervertreter, Aufsichtsrat börsenotierter Aktiengesellschaften und Vater von fünf Kindern.
© Doris Kucera

Viele haben über Fonds indirekt Wirecard-Aktien besessen, ohne es zu wissen.


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Während Wirecard in der medialen Berichterstattung Corona immer mehr Konkurrenz macht und sich zu einer "James Bond"-Story mit österreichischen Hauptdarstellern entwickelt, wird einerseits nach Schuldigen und Schadenersatzpflichtigen gesucht und andererseits analysiert, wie es zu diesem Megafinanzskandal und dem multiplen Versagen kommen konnte.

Mehr als 100 Millionen Wirecard-Aktien standen zum Kauf und wurden eifrig gehandelt. Die Kursentwicklung war in den vergangenen Jahren spektakulär. Das Auf und Ab brachte Schlagzeilen und lockte vor allem Spekulanten an. Dazu wurde die Story vermittelt, dass Wirecard sich so entwickeln könnte wie das überaus erfolgreiche Hightech-Unternehmen SAP. Private, langfristig orientierte Investoren waren in der Minderzahl. Das Börsegeschehen wurde durch institutionelle Investoren, denen fremdes Geld zur Veranlagung und Mehrung anvertraut worden war, bestimmt. Diese "Spezialisten des Kapitalmarktes" wiederum stützen sich bei ihren Entscheidungen sehr intensiv auf die Erkenntnisse und Untersuchungen von Finanzanalysten, die meistens Kaufempfehlungen mit Kurszielen abgeben und eher selten mit einer "Hold"- Empfehlung eine Zurückhaltung ausdrücken.

Die ausschließliche Quelle für ihre Informationen ist das Unternehmen selbst, das durch perfekte "Message Control" selektiv nur die Daten und Informationen weitergibt, durch die sichergestellt wird, dass das gewünschte Bild in den Berichten wiedergegeben wird. Neben dem CEO ist die wichtigste Stelle die Abteilung für Medienarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Investors Relations, die durch geschickte Formulierungen und professionelle Präsentationen die Kommunikationspolitik des Vorstands umsetzt. Kritiker werden entweder ignoriert oder durch heftige Gegendarstellungen relativiert beziehungsweise marginalisiert.

Bei schnell wachsenden, neuen und schwer verständlichen Geschäftsmodellen fehlen Vergleichsmöglichkeiten. Auch der Herdeneffekt ist bei diesen Finanzspezialisten, die nur allzu oft von den Unternehmen, die sie analysieren, de facto wirtschaftlich abhängig sind, nicht zu unterschätzen.

Die Notierung in der obersten Klasse der Börse als DAX-Wert bringt automatisch Nachfrage nach den Aktien. Seit Jahren gibt es immer mehr Aktienfonds, die nicht mehr aktiv gemanagt werden, sondern bei der Zusammensetzung ihres Portefeuilles den Index abbilden. Diese Fonds verlangen von ihren Anlegern wesentlich geringere Gebühren und geben in der Performance immer wieder in etwa den Durchschnitt wieder. Es werden automatisch die Mittelzuflüsse des Aktienfonds nach der Indexgewichtung - unabhängig von der Geschäftsentwicklung des jeweiligen Unternehmens - veranlagt. Viele Anleger haben demnach indirekt Wirecard-Aktien besessen, ohne es zu wissen.

Die Börsen wurden in den vergangenen Jahren immer mehr zu Institutionen für clevere Finanzakrobaten, die durch ihr spezielles Know-how zu Lasten naiver, ahnungsloser Anleger rasch ohne allzu viel Anstrengung reich werden konnten.