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Zu Lasten der Barzahlung

Von Heike Mai

Gastkommentare
Heike Mai arbeitet als Senior Economist bei Deutsche Bank Research zu den Themen Banken, Finanzmärkte und Regulierung.
© Martin Joppen

Im ersten Pandemiejahr hat der unbare Zahlungsverkehr weiter zugenommen. Allerdings gab es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Bezahlarten.


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Mehr als 101 Milliarden bargeldlose Zahlungen wurden in der Eurozone während des ersten Pandemiejahres 2020 getätigt. Der unbare Zahlungsverkehr nahm somit erneut zu, aber lediglich um magere 3,7 Prozent (plus 3,6 Milliarden Transaktionen). Mit 55 Prozent entfiel mehr als die Hälfte des Anstiegs auf Deutschland, das für etwa ein Viertel des Zahlungsverkehrs im Euroraum steht. Der Hauptgrund für die geringe Zunahme in der Eurozone waren Kartenzahlungen, die etwa die Hälfte aller Transaktionen ausmachen, deren jahrelang zweistelliges Wachstum auf nur 2,5 Prozent einbrach. Dies dürfte vor allem die Einschränkungen beim privaten Konsum durch Lockdowns und Einkommensverluste während der Pandemie widerspiegeln.

Allerdings gab es je nach Land und Bezahlsituation - Ladenkasse oder Internet - sehr unterschiedliche, sogar gegenläufige Entwicklungen. Unterm Strich zeichnet sich im Euroraum eine Angleichung der Zahlungsweise an der Ladenkasse ab, nämlich hin zur Karte, auch in einigen (bisher) bargeldaffinen Ländern. Gleichzeitig scheinen sich die nationalen Unterschiede beim Online-Shopping zu verfestigen. Je nach Land legten hier Kartenzahlungen oder Internetbezahlverfahren zu.

Nationale Zahlungspräferenzen

Die Einschränkungen des privaten, geschäftlichen und öffentlichen Lebens trafen auf national sehr unterschiedliche Zahlungspräferenzen und Bezahlangebote. Einerseits dürfte die Pandemie an der Ladenkasse (Point of Sale - POS) die traditionellen Unterschiede in der Nutzung von Bar- beziehungsweise Kartenzahlung verringert haben. In einigen der sehr bargeldaffinen Länder wechselten die Käufer in einem solchen Ausmaß von Bar- zu Kartenzahlungen, dass Letztere trotz Lockdowns kräftig zunahmen, vor allem in Deutschland und Spanien, aber auch in Griechenland und Österreich. In Italien gingen stationäre Kartenzahlungen nur geringfügig zurück. In den Niederlanden hingegen, wo Barzahlungen im Geschäft schon vor der Pandemie selten waren, schlugen sich Ladenschließungen direkt in einen deutlichen Rückgang der Kartenzahlungen am POS nieder. Ähnlich sah es in Frankreich aus, wo Barzahlungen schon vor 2020 nur knapp beliebter waren als Kartenzahlungen.

Andererseits scheinen sich beim Online-Handel mit dem Wachstum in der Pandemie die nationalen Unterschiede vergrößert zu haben. Während die Kunden laut Umfragen in einigen Ländern Online-Käufe am liebsten per Karte bezahlen (zum Beispiel in Frankreich, Italien und Spanien), sind in anderen Ländern (zum Beispiel Deutschland und Niederlande) Überweisungen (Kauf auf Rechnung) und insbesondere Online-Bezahlverfahren die bevorzugten Zahlungsinstrumente. Online-Bezahlverfahren bezeichnen hierbei sowohl E-Geld-Transaktionen basierend auf E-Geld-Konten (wie PayPal) als auch Online-Dienste, die technisch auf Banküberweisungen aufsetzen (wie iDEAL oder Sofortüberweisungen). In der Handhabung ist für den Kunden jedoch kaum ein Unterschied zu erkennen.

Kreditkarten verloren Marktanteile

In beiden Fällen ist die Zahlung eng in den Check-out-Prozess des Online-Shops eingebunden, und der Kunde löst sie online (oder mobil) aus. Konkret wurde in Deutschland 2020 an den Ladenkassen sehr viel häufiger mit Karte bezahlt als vor der Pandemie, mit einem Plus von 21 Prozent (plus 1,1 Milliarden Transaktionen); auch der Kartenumsatz stieg hier an, und zwar um 6,8 Prozent). Kunden griffen öfter zur Debit-Karte und zahlten seltener mit Bargeld. Vielerorts hatten Händler mit dem Verweis auf Hygiene um Karten- statt Barzahlung gebeten. Insbesondere die Kontaktloszahlung erfuhr dadurch einen Schub.

Kartenzahlungen mit Unterschrift (Elektronisches Lastschriftverfahren - ELV) brachen hingegen um die Hälfte ein. Bemerkenswert: Auch Kreditkarten verloren Marktanteile im stationären Handel. Diese verfügen zwar zu einem großen Teil ebenfalls über die Kontaktlos-Funktion, werden hierzulande aber traditionell vor allem zum Bezahlen im Gastgewerbe genutzt, das besonders stark von den Lockdowns betroffen war.

Ein ganz anderes Bild ergibt sich im Euroraum, wenn die deutschen Volumina ausgeklammert werden. Hier wurde im Pandemiejahr an der Ladenkasse seltener mit Karte gezahlt, das Minus betrug 2,8 Prozent (minus 1 Milliarde Transaktionen), auch der Umsatz ging um 5,3 Prozent zurück. Dies beruhte hauptsächlich auf einer Lockdown-bedingt stark rückläufigen Kartennutzung in den zwei großen (Karten-)Märkten Frankreich und Niederlande.

Starke Zuwächse bei Internet-Bezahlverfahren

Bei den Online-Zahlungen erklären die oben genannten nationalen Zahlungspräferenzen die unterschiedlichen Entwicklungen. In Deutschland profitierten die (bereits dominierenden) Internet-Bezahlverfahren vom häufigeren Online-Shopping, und zwar vor allem die E-Geld-Zahlungen. Diese stiegen im Jahr 2020 um mindestens 360 Millionen auf etwa 1,5 Milliarden Transaktionen (plus 31 Prozent. Auch ein Teil des Wachstums bei den Überweisungen dürfte auf Online-Käufen von Konsumenten beruhen. Zum einen legten Internet-Bezahlverfahren zu, die technisch Überweisungen auslösen, und zwar um 11 Prozent (plus 17 Millionen Transaktionen), zum anderen dürften auch häufiger normale Überweisungen für Waren getätigt worden sein, die auf Rechnung im Internet bestellt wurden. Solche Überweisungen werden statistisch nicht gesondert erfasst, genauso wenig wie Lastschriften, mit denen Internet-Käufe bezahlt werden. Der kräftige Zuwachs bei den Lastschriften könnte jedoch ebenfalls ein Stück weit darauf zurückzuführen sein.

Demgegenüber brach das Wachstum der (weniger verbreiteten) Kartenzahlungen beim Online-Shopping um die Hälfte auf 9,6 Prozent (plus 83 Millionen Transaktionen) ein, und der Umsatz nahm sogar um 10 Prozent ab. Das Umsatz-Minus könnte darauf beruhen, dass viele Online-Kartenzahlungen für touristische Zwecke erfolgen, aber der Tourismus pandemiebedingt stark zurückging. Gleichzeitig geht es bei Buchungen von Flügen, Mietautos, Hotels etc. häufig um relativ hohe Rechnungsbeträge.

Im Euroraum (ohne Deutschland) hingegen legte die Zahl der Kartenzahlungen beim Online-Shopping ähnlich wie im Vorjahr kräftig zu, um 18 Prozent (plus 0,9 Milliarden Transaktionen), der Umsatz stieg um 14 Prozent. Hier gab es anders als in Deutschland keinen Wachstumseinbruch, vor allem dank eines steigenden Karteneinsatzes in Frankreich und Spanien. Allerdings konnten die Online-Zuwächse den starken Rückgang der stationären Kartenzahlungen im Euroraum nicht ganz ausgleichen.

Kräftige Zunahme der unbaren Zahlungen

Für die Zeit nach der Pandemie ist im gesamten Euroraum mit einer kräftigen Zunahme der unbaren Zahlungen zu rechnen, denn der Wechsel vieler Konsumenten von der gewohnten Barzahlung zur Karte dürfte dauerhaft sein. Außerdem ist mit dem Ende der pandemiebedingten Einschränkungen beim Einkaufen vor Ort und im Gastgewerbe in den traditionell kartenlastigen Ländern ein sprunghafter Anstieg der Transaktionen zu erwarten. Inwieweit die Konsumenten in Europa ihre Besorgungen statt im Internet wieder in lokalen Geschäften erledigen werden, bleibt abzuwarten, wird aber relativ wenig Einfluss auf die unbare Transaktionszahl insgesamt haben.

Erweist sich der gestiegene Anteil des Online-Shoppings am Einzelhandel als dauerhaft, wird dies je nach Land die Nutzung von Karte oder Internetbezahlverfahren weiter stärken. Verlagert sich viel Geschäft zurück in den stationären Handel, ist auch dort mit geringerer Bargeldnutzung als vor der Pandemie zu rechnen. Dies schlägt sich bisher vor allem in mehr Kartenzahlungen nieder. In der Zukunft dürfte an der Ladenkasse die Mobilzahlung per Handy an Beliebtheit gewinnen - zulasten der Barzahlung ebenso wie der Kartenzahlung. Ab 2026 könnte ein weiteres Zahlungsmitte dazukommen: der digitale Euro. Es bleibt spannend, welchen etablierten und neuen Bezahllösungen Kunden den Vorzug geben werden.