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Die SPÖ zeigt vor, wie eine staatstragende Partei sich selbst schädigt.
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Die politischen Parteien haben eine wesentliche Rolle in einer liberalen Demokratie. Den Parteien obliegt weitgehend die Vermittlung politischer Ideen und Stimmungen zwischen ihren Mitgliedern und der Bevölkerung einerseits und den gewählten Organen in Gemeinden, Landtagen, Parlament und Interessenvertretungen andererseits. In dieser Scharnierfunktion sind sie weitgehend für die politische Willensbildung in jenen Staaten verantwortlich, in denen die Demokratie das staatliche Organisationsprinzip ist. Parteien sind somit gleichsam mit ihren politisch handelnden Personen für das Erscheinungsbild von Politik Demokratie und Staat verantwortlich.
Während in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Wiederaufbau des Landes und die bitteren Erfahrungen der Nazi-Herrschaft die Parteien in der großen Koalition zu einem konstruktiven Geist in den Parlamenten auf Bundes und Landesebene verbunden haben, ist diese Klammer in den vergangenen Jahren immer lockerer geworden. Dabei waren es nicht immer nur äußere beziehungsweise weltpolitische Faktoren und Ursachen, wie die Globalisierung, internationale Finanzmärkte, Inflation, Migration, die Pandemie oder der Russlands Krieg gegen die Ukraine, die den österreichischen Parteien zu schaffen machen.
Heute ist festzustellen, dass Politik-, Demokratie- und Staatsverdrossenheit weitgehend von den Parteien selbst verschuldet wird. Und dabei geht es nicht nur um Fehlleistungen bei Sachentscheidungen in den Parlamenten und Körperschaften, sondern auch um Fehlleistungen im Innenleben der Parteien selbst. Ich meine damit die Statutentreue, die innerparteiliche Demokratie, die mangelnden Meinungsbildung, die fehlende Programmarbeit, die immer öfter von kurzatmigen demoskopischen Studien abgelöst wurde.
Kaum noch Diskussionen in Sitzungen
Wo werden Standpunkte noch diskutiert, mit Experten erarbeitet und schriftlich dokumentiert? Meist dauert der Bericht des Obmannes oder der Obfrau so lange, dass für eine Diskussionsrunde oder für Präzisierungen und weitere Interpretationen und Ergänzungen keine Zeit mehr übrig bleibt. Langatmige und sterile Finanz- und Organisationsberichte lassen die Aufmerksamkeit der Anwesenden frühzeitig erlahmen, und viele denken schon ans Mittagessen bei der Heimfahrt in ihr Bundesland. Dabei erfahren sie dann oft aus dem ORF-Radio, was ihre Parteispitze bei der anschließenden Pressekonferenz als Ergebnis der Sitzung verkündet hat - und fragen sich dann mitunter, ob sie bei dieser oder einer ganz anderen Sitzung dabei waren.
Denn meistens steht nicht genug Zeit für Diskussionen in Bundesvorständen zur Verfügung. Manche Vorsitzende machen sogar eine Tugend daraus, wenn sie die Sitzung mit den Worten schließen: "Zum Punkt Allfälliges hat sich noch nie jemand zu Wort gemeldet, deshalb schließe ich die Sitzung und danke für die Teilnahme." Oft werden auch "die schon vor der Türe wartenden Journalisten" für den Abbruch einer Diskussionsrunde nach dem Bericht des Vorsitzes als Begründung genannt.
Und wenn es doch einmal eine Diskussion gibt, werden oft Alternativlosigkeit, Sachzwänge, Zeitnot oder mangelnde Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber dem Regierungspartner genannt und so der Frust und die Ohnmacht verstärkt. Immer öfter fragen sich Funktionäre und Mandatare aus den Ländern, ob die stundenlange Anreise zu Sitzungen, bei denen alles schon vom Kabinett, vom Büro oder vom Meinungsforscher ausgearbeitet und unverrückbar festgelegt wurde, überhaupt noch einen Sinn hat.
Ein Musterbeispiel, wie das Bild einer staatstragenden Partei beschädigt werden kann, liefert derzeit die SPÖ. Nicht nur die Zurufe waren es, die das Erscheinungsbild zerkratzt haben, sondern auch die unkoordinierte und statutenwidrige Aufarbeitung der Führungsfrage. Nirgendwo - weder in den Statuten auf Länder- noch auf Bundesebene - sind in den von der Vereinsbehörde genehmigten SPÖ-Statuten Hinweise auf eine Bestimmung zu finden, dass vor einem Parteitag mit Neuwahl eine Mitgliederbefragung stattzufinden habe.
Ohne Regeln keine Demokratie
Man hat sich, auch durch spontanen Zuruf, auf dieses völlig ungeregelte Abenteuer eingelassen. Ohne jedes Reglement, ohne Ablaufplanung. Jeder und jede Person, Organisation und Medium kann sich dazu äußern, nach dem Motto: Mehr Meinungen bringen ein besseres Ergebnis. Wer darf kandidieren? Wie viele Unterstützungsunterschriften sind erforderlich? Welche Fristen sind einzuhalten? Ist das Ergebnis der Mitgliederbefragung bindend? Welche Gestaltungsmöglichkeiten hat das gewählte Parteipräsidium oder der Bundesparteivorstand noch?
Eine schon bisher schwache Parteiführung ist mit einer solchen Situation völlig überfordert. Das Erscheinungsbild ist ruiniert. Nicht durch die Konkurrenz, nicht durch die schwierige nationale oder internationale Situation oder durch Außenfaktoren - nein, nur durch hausgemachte Fehler, mangelnde Beschlüsse, politische und offene organisatorische Beliebigkeit.
Schadenfreude wäre freilich völlig fehl am Platz. Denn dieses Schicksal könnte jede andere Partei ebenso erleiden - und mit ihr hätten den Schaden auch all jene Bürgerinnen und Bürger, die noch an Parlamentarismus und an die Demokratie als staatliches Gestaltungsprinzip glauben und darauf vertrauen, dass die im Parlament vertretenen Parteien den Staat organisieren. Demoskopische Befunde beweisen, dass der Anteil jener Befragten, die sich eine starke Führungspersönlichkeit vorstellen können - die ohne Wahlen, ohne Demokratie und ohne Parlament regieren soll -, bereits die 25-Prozent-Marke überschritten hat und noch weiter wächst.