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Zu viel Abstand vom Anstand

Von Christina Böck

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"Wenn jeder der mehr als 70.000 Corona-Toten in Deutschland mindestens 20 Menschen hatte, die weinend am Grab standen, wären das 1,4 Millionen Hinterbliebene. Ich bin eine von ihnen." Mit diesen Worten bewarb das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" am Donnerstag einen Artikel auf Facebook. Von 4.000 Menschen, die auf dieses Posting reagierten, fanden 350 ein lachendes Smiley eine adäquate Reaktion.

Ein Zehntel der Nutzer geniert sich also nicht, sich über den Verlust eines geliebten Menschen, den hier jemand erfahren hat, lustig zu machen. Man muss sich da schon fragen: Würden sich diese Leute auch bei einer Trauerfeier hinstellen und lauthals ins Grab hineinlachen? Haben die nicht verstanden, dass Menschen gestorben sind und noch immer sterben? Woher kommt diese so nonchalant vor sich hergetragene Herzlosigkeit? Ist so ein Zynismus eigentlich noch zu entschuldigen mit den üblichen Beschwichtigungen wie: "Die Nerven liegen bei allen blank, die Pandemie dauert halt schon so lang", oder: "Manche Verschwörungstheoretiker sind unbelehrbar, an die kommt man halt nicht ran", oder: "Ist ja nur das Internet, da nimmt man es nicht so genau"?

Nein, damit ist das nicht zu entschuldigen. Übrigens auch keine Häme, wenn Corona-Leugner oder einschlägige Politiker mit einer Infektion auf der Intensivstation landen. Von Abstand ist zwar immer noch viel die Rede, aber vielleicht sollte man auch wieder einmal mehr über Anstand reden.