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Zu wenig Lehrer für eine erfolgreiche Integration

Von Stefan Beig

Politik

Reportage: Schule mit 85 Prozent Kindern nichtdeutscher Muttersprache. | Wien. 40 Prozent aller Wiener Schüler haben nicht Deutsch als Muttersprache, mehr als in irgendeinem anderen Bundesland. Besonders hoch ist der Anteil an den Hauptschulen. Was bedeutet das für den Schulunterricht? Wie geht die Schule damit um?


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Ein Schulversuch namens "Kooperative Mittelschule" soll Hauptschülern den Umstieg in die Mittelschule erleichtern. Es unterrichten Haupt- und Mittelschullehrer. Die Kinder werden in den Hauptfächern nach zwei verschiedenen Lehrplänen benotet.

Das Schulgebäude der Koppstraße 110 teilen sich zwei kooperative Mittelschulen. Die eine hat musisch-kreativen, die andere naturwissenschaftlich-technischen Schwerpunkt. Rund 85 Prozent der Schüler sind nicht deutscher Muttersprache. In einer ersten Klasse sind alle Kinder fremdsprachig.

Walter Böhm, der Direktor des musischen Zweigs, und die Lehrer sind sich einig: Von politischer Seite werden die Probleme zu wenig angesprochen. Die Klassen sind mit bis zu 29 Schülern zu groß. Schüler mit ganz unterschiedlichen Leistungsniveaus sind in einer Klasse vereint. Es gibt sogenannte "Seiteneinsteiger", die mit 13 Jahren nach Wien kommen und kein Wort Deutsch können. Schüler mit fortgeschrittenen Deutschkenntnissen können dann nicht ausreichend gefördert werden. "Die Kinder haben auch oft in ihrer Muttersprache einen sehr reduzierten Wortschatz", beklagen sich die Lehrer. Schimpfwörter füllen die Pausen.

Kontakt zu Eltern nicht leicht

Manche Eltern leben schon seit vielen Jahren in Wien und können kein Deutsch. Beim Sprechtag müssen dann die Kinder als Dolmetscher fungieren. Auch telefonisch sind die Eltern schwer erreichbar, weil der Telefonanbieter häufig gewechselt wird.

Auch von türkischen Schülern, die weibliche Lehrer nicht als Autoritätspersonen akzeptieren, wird berichtet. Ihre Väter wollen ebenfalls nicht mit den Lehrerinnen reden.

Einmal wollte ein Vater durchsetzen, dass seine Tochter den Turnunterricht mit Kopftuch besucht. Auf den Hinweis, dass in der Türkei das Tragen von Kopftüchern komplett verboten ist, entgegnet er: "Ich bin Österreicher." Es gibt aber auch viele Gegenbeispiele, die zeigen, dass türkische Väter die Schule sehr wohl respektieren.

Schüler aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien stellen zwei Drittel aller Schulkinder. Bei ihnen ist die Integration besonders schwer, weil sie miteinander dauernd in ihrer Muttersprache sprechen. Manche Türken kommen mit der deutschen Sprache kaum in Berührung, weil sie in Wien schon ein "türkisches Umfeld" vorfinden. "Eine Ghettoisierung findet statt", bestätigt Böhm.

Man bräuchte mehr Lehrer und begleitende Maßnahmen für die Eltern, erzählt der Direktor.

20 Prozent schaffen nach der 4. Klasse die Aufnahmeprüfung in eine weitere höhere Schule. Der Rest geht an den Polytechnischen Lehrgang oder probiert gleich den Einstieg ins Berufsleben. Der gelingt aber oft nicht. Wer nur schlecht Deutsch spricht, hat kaum Chancen. Neben einigen erfreulichen Fällen, die später sogar die Matura schaffen, gibt es auch traurige Geschichten. "Und trotzdem unterrichten die Lehrer gerne", erzählt Direktor Böhm.

Zumindest einmal im Jahr werden kulturelle Gegensätze überwunden: Das gemeinsame Einstudieren von Weihnachtsliedern macht allen Schülern Spaß - unabhängig vom religiösen Hintergrund. Zur Weihnachtsfeier kommen dann die ganzen Familien.

Derzeit wird ein Musical einstudiert. Es heißt "1683" und ist eine Art "Romeo und Julia"-Geschichte zur Zeit der Zweiten Türkenbelagerung. Die Tochter eines Gemüsehändlers und ein türkischer Soldat lernen sich inmitten der Kriegswirren lieben. Am Ende eröffnen sie Wiens erste Kebabbude: Der Beginn einer glücklichen Zukunft.